Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Gesichtsausdruck war lässig und aufgeregt zugleich; seine Augen blickten abwesend, und sein Mund war fest geschlossen, aber die Nasenflügel bebten leicht beim Atmen.
»Sieh dich vor«, sagte Camilla.
Sie meinte Charles, aber Cloke drehte sich um und lächelte. »Kinderspiel«, sagte er.
Sie ging mit ihnen zur Tür. Als sie sie wieder geschlossen hatte, drehte sie sich um.
Henry legte einen Finger an die Lippen.
Wir hörten Schritte auf der Treppe und schwiegen, bis wir Clokes Wagen anspringen hörten. Henry trat ans Fenster und zog eine verschlissene Gardine zur Seite. »Sie sind weg«, sagte er.
»Henry, bist du sicher, daß das eine gute Idee ist?« fragte Camilla.
Er zuckte die Achseln und schaute weiter auf die Straße hinunter. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Diesmal mußte ich nach dem Gehör spielen.«
»Ich wünschte, du wärest mitgegangen.«
»Das hätte ich getan, aber so ist es besser.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Na, es dürfte selbst für Cloke ziemlich offensichtlich werden, daß Bunny nicht verreist ist. Alles, was er besitzt, ist in diesem Zimmer. Geld, Ersatzbrille, Wintermantel. Wahrscheinlich wird Cloke wieder gehen wollen, ohne etwas zu sagen, aber ich habe Charles gesagt, er soll darauf bestehen, daß sie wenigstens Marion herüberrufen, damit sie einen Blick ins Zimmer wirft. Wenn sie es sieht – tja. Sie weiß nichts von Clokes Problemen, und sie würde sich auch nicht dafür interessieren. Wenn ich mich nicht täusche, wird sie die Polizei informieren oder wenigstens Bunnys Eltern, und ich bezweifle, daß Cloke sie daran hindern kann.«
»Aber heute finden sie ihn nicht mehr«, meinte Francis. »In zwei Stunden ist es dunkel.«
»Ja, aber wenn wir Glück haben, fangen sie gleich morgen früh an zu suchen.«
»Glaubst du, sie werden uns vernehmen?«
»Keine Ahnung«, sagte Henry abwesend. »Was weiß ich, wie sie in solchen Dingen vorgehen.«
Ein dünner Sonnenstrahl traf auf die Prismen an einem Kerzenleuchter auf dem Kaminsims und versprühte zu strahlenden Lichtscherben, die von den schrägen Dachgeschoßwänden verzerrt wurden. Unvermittelt kamen mir Bilder aus all den Kriminalfilmen in den Sinn, die ich je gesehen hatte – das fensterlose Zimmer, die grellen Lichter und engen Korridore, Bilder, die nicht so sehr theatralisch oder fremdartig erschienen als vielmehr durchtränkt von der unauslöschlichen Qualität der Erinnerung, der gelebten Erfahrung. Nicht denken, nicht denken, ermahnte ich mich und starrte auf eine helle, kalte Pfütze von Sonnenlicht, die vor meinen Füßen in den Teppich siclcerte.
Camilla versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, aber das erste Streichholz ging aus und das zweite ebenfalls. Henry nahm ihr die Schachtel ab und riß selbst eins an; es flammte hoch und kräftig auf, und sie beugte sich darüber, wölbte eine Hand um die Flamme, während die andere auf seinem Handgelenk ruhte.
Die Minuten schlichen mit quälender Langsamkeit dahin. Camilla brachte eine Flasche Whiskey in die Küche, und wir saßen am Tisch und spielten Euchre, Francis und Henry gegen Camilla und mich. Camilla spielte gut – es war ihr Spiel, ihr Lieblingskartenspiel -, aber ich war kein guter Partner, und wir verloren eine Runde nach der anderen.
Es war sehr still in der Wohnung; man hörte nur das Klingen der Gläser, das Scharren der Karten. Henry hatte sich die Ärmel über die Ellbogen hochgekrempelt, und die Sonne funkelte metallisch an Francis’ Kneifer. Ich tat mein Bestes, mich auf das Spiel zu konzentrieren, aber immer wieder merkte ich, daß ich durch die offene Tür auf die Uhr starrte, die nebenan auf dem Kaminsims stand. Sie war eines jener bizarren viktorianischen Nippesstücke, die die Zwillinge so gern hatten: ein weißer Porzellanelefant, die Uhr auf seinem Rücken in einer Howdah, und ein kleiner schwarzer Mahout mit goldenem Turban und in Reithosen, der die Stunden schlug. Der Mahout hatte etwas Diabolisches an sich; immer wenn ich aufblickte, sah ich, daß er mich mit fröhlicher Bosheit angrinste.
Ich vergaß die Punkte, vergaß den Spielstand. Im Zimmer wurde es dämmrig.
Henry legte die Karten aus der Hand. »So«, sagte er.
»Ich hab’ keine Lust mehr«, sagte Francis. »Wo bleibt er?«
Die Uhr tickte laut; es war ein schepperndes, arhythmisches Ticken. Wir saßen im verblassenden Licht; die Karten waren vergessen.
Camilla nahm einen Apfel aus der Schale auf der Anrichte, setzte sich auf die Fensterbank und aß ihn
Weitere Kostenlose Bücher