Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Professorenbüros vorbei. Das war ein großer Fehler. Ich war noch nicht mal bis zum Birkenwäldchen gelcommen, als dieser Troublemaker vom Studentensekretariat – die Lady, die den Streit angefangen hatte – mich vom Fenster des Dekanats aus sah und mich hereinrief.«
»Was machte sie denn im Dekanatsbüro?«
»Sie führte ein Ferngespräch. Sie hatten Bunnys Vater am Telefon - und der brüllte jeden an und drohte mit Klage. Der Dekan versuchte ihn zu beruhigen, aber Mr. Corcoran verlangte immer wieder jemanden zu sprechen, den er kannte. Sie haben über eine andere Leitung versucht, dich zu erreichen, Henry, aber du warst nicht zu Hause.«
»Hatte er mit mir sprechen wollen?«
»Anscheinend. Sie waren drauf und dran, jemanden zu Julian hinüberzuschicken, aber dann sah diese Lady mich durchs Fenster. Da waren ungefähr eine Million Leute – der Polizist, die Dekanatssekretärin, vier oder fünf Leute vom Korridor, diese komische Tante, die in der Aktenverwaltung arbeitet. Nebenan im Zulassungsbüro versuchte jemand, den Präsidenten zu erreichen. Ein paar Lehrer hingen auch da rum. Ich schätze, der Studiendekan war gerade mitten in einer Konferenz gewesen, als die Lady vom Studentensekretariat mit dem Polizisten hereinplatzte. Dein Freund war auch da, Richard. Dr. Roland.
Na, jedenfalls-die Menge teilte sich, als ich hereinkam, und der Studiendekan reichte mir den Telefonhörer. Mr. Corcoran beruhigte sich, als er merkte, wer ich war. Wurde ganz vertraulich und wollte wissen, ob das nicht irgend so ’ne Art Studentenulk wäre.«
»O Gott«, sagte Francis.
Charles sah ihn aus dem Augenwinkel an. »Er hat nach dir gefragt. ›Wo ist denn der alte Karottenkopf? wollte er wissen.«
»Und was hat er sonst noch gesagt?«
»Er war sehr nett. Hat eigentlich nach euch allen gefragt. Ich soll alle grüßen.«
Eine lange, unbehagliche Pause trat ein.
Henry nagte an der Unterlippe; er ging zum Barschrank und goß sich einen Drink ein. »Hat man«, fragte er dann, »etwas zu dieser Bankgeschichte gesagt?«
»Ja. Marion hat ihnen den Namen des Mädchens gegeben. Übrigens« – als er aufschaute, war sein Blick abwesend und ausdruckslos –, »ich habe vergessen, es euch zu erzählen, aber Marion hat der Polizei deinen Namen genannt. Deinen auch, Francis.«
»Wieso?« fragte Francis erschrocken. »Wozu?«
»Wer waren seine Freunde? Das wollten sie wissen.«
»Aber wieso ich? «
»Jetzt beruhige dich, Francis.«
Es war mittlerweile dunkel im Zimmer. Der Himmel draußen war fliederfarben, und die Straße war von einem surrealen, mondhaften Glanz erfüllt. Henry knipste die Lampe an. »Glaubst du, sie werden heute abend noch anfangen zu suchen?«
»Suchen werden sie auf jeden Fall. Ob sie an der richtigen Stelle suchen, das ist eine ganz andere Frage.«
Einen Moment lang sagte niemand etwas. Charles ließ nachdenklich das Eis in seinem Glas klingen. »Wißt ihr«, sagte er, »wir haben etwas Schreckliches getan.«
»Das mußten wir, Charles, wie wir es schon erörtert haben.«
»Ich weiß, aber mir will Mr. Corcoran nicht aus dem Kopf. Die Ferien, die wir in seinem Haus verbracht haben. Und er war so nett am Telefon.«
Als Henry ging, bot er mir an, mich noch nach Hause zu fahren. Es war schon spät, und als wir hinter dem Wohnheim anhielten, fragte ich ihn, ob er Lust hätte, zum Essen mit ins Commons zu gehen.
Wir gingen am Postzimmer vorbei, damit Henry in sein Fach schauen konnte. Er ging nur ungefähr alle drei Wochen hin, und so erwartete ihn ein ziemlicher Stapel. Er blieb am Papierkorb stehen, blätterte alles ziemlich gleichgültig durch und warf die Hälfte der Umschläge ungeöffnet weg. Dann hielt er inne.
»Was ist?«
Er lachte. »Guck mal in dein Fach. Das ist ein Lehrerbewertungsbogen. Julian wird überprüft.«
Als wir ankamen, wurde die Mensa gerade geschlossen, und die Hausmeister waren schon dabei, den Boden zu wischen. Die Küche war auch schon geschlossen; also bat ich um etwas Erdnußbutter und Brot, und Henry machte sich eine Tasse Tee. Der Hauptspeisesaal
war menschenleer. Wir setzten uns an einen Ecktisch und sahen unser Spiegelbild im schwarzen Glas der Fensterscheibe. Henry zog einen Stift hervor und fing an, Julians Bewertungsbogen auszufüllen.
Ich betrachtete mein Exemplar, während ich das Brot aß. Die Skala der Antworten rangierte von eins – schlecht bis fünfausgezeichnet: Ist der Lehrer zuverlässig? ... Gut vorbereitet? ... Hilfsbereit über den
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