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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Und ich hoffe selbstverständlich, daß keine Mutter je das ertragen muß, was ich in den letzten Nächten durchgemacht habe. Aber das Wetter scheint aufzuklaren, und wir haben so viele nette Leute kennengelernt, und die Geschäftsleute am Ort waren alle so großzügig in so vielen kleinen Dingen ...«
    »Eigentlich«, sagte Henry, als der Sender zu einem Werbespot umschaltete, »ist sie ziemlich telegen, nicht?«
    »Sie sieht aus wie ein zäher Brocken.«
    »Sie kommt aus der Hölle«, sagte Charles betrunken.
    »Ach, so schlimm ist sie auch wieder nicht«, widersprach Francis.
    »Das sagst du bloß, weil sie sich dauernd bei dir einschleimt«, behauptete Charles. »Wegen deiner Mutter und so.«
    »Sich einschleimt? Wovon redest du? Mrs. Corcoran schleimt sich nicht bei mir ein.«
    »Sie ist grauenhaft«, sagte Charles. »Es ist doch schrecklich, wenn man seinen Kindern erzählt, Geld sei das einzige auf der Welt, worauf es ankommt, aber es ist eine Schande, dafür zu arbeiten, und wenn man sie dann ohne einen Penny rausschmeißt. Sie hat Bunny nie einen roten ...«
    »Das ist auch Mr. Corcorans Schuld«, sagte Camilla.
    »Ja, schön, kann sein. Ich weiß es nicht. Ich habe bloß noch nie eine Bande von derart habgierigen, oberflächlichen Leuten gesehen. Man sieht sie an und denkt, oh, was für eine geschmackvolle, attraktive Familie, aber sie sind ein Haufen Nullen, wie aus einer Reklameanzeige. Sie haben ein Zimmer in ihrem Haus«, sagte Charles und schaute mich an, »das nennen sie ihr Gucci-Zimmer.«
    »Was?«
    »Na, sie haben einen Sockel reingemalt, sozusagen, mit diesen grausigen Gucci-Streifen. Das war in allen möglichen Illustrierten. House Beautiful hat es in einem albernen Artikel über ›Exzentrik in der Innendekoration‹ oder irgend so’ne absurde Idee gebracht –
du weißt schon, wo sie dir erzählen, du sollst dir einen riesigen Hummer an die Schlafzimmerdecke malen, und das ist dann alles angeblich sehr witzig und attraktiv.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich meine, genau diese Sorte Leute sind die«, fuhr er fort. »Absolut oberflächlich. Bunny war mit Abstand der beste von ihnen, aber selbst er ...«
    »Ich hasse Gucci«, sagte Francis.
    »Ach ja?« Henry blickte aus seinen Gedanken auf. »Wirklich? Ich finde es ziemlich großartig.«
    »Ich bitte dich, Henry.«
    »Na, es ist so teuer, aber es ist auch so häßlich, nicht? Ich glaube, sie machen es absichtlich häßlich. Und trotzdem kaufen die Leute es – aus reiner Perversität.«
    »Ich weiß nicht, was du daran großartig findest.«
    »Alles ist großartig, wenn man es nur in einem hinreichend großen Maßstab tut«, sagte Henry.
     
    Als ich an dem Abend nach Hause ging und nicht weiter auf den Weg achtete, trat mir bei den Apfelbäumen vor dem Putnam House ein großer, finsterer Typ entgegen und fragte: »Bist du Richard Papen?«
    Ich blieb stehen, sah ihn an und bejahte.
    Zu meiner Verblüffung schlug er mir ins Gesicht, und ich kippte rückwärts in den Schnee, daß es mir den Atem verschlug.
    »Laß die Finger von Mona!« brüllte er mich an. »Wenn du noch mal in ihre Nähe kommst, bring’ ich dich um. Verstanden?«
    Ich war so verdattert, daß ich nicht antworten konnte; ich starrte ihn nur an. Er trat mir hart in die Rippen, und dann stampfte er verdrossen davon, und seine Schritte knirschten im Schnee.
    Ich schaute zu den Sternen hinauf. Sie waren ziemlich weit weg. Schließlich rappelte ich mich hoch; ein stechender Schmerz ging durch meine Rippen, aber anscheinend war nichts gebrochen. So humpelte ich durch die Dunkelheit nach Hause.
    Am nächsten Morgen schmerzte mein Auge, als ich mich umdrehte und auf die Wange zu liegen kam. Ich lag eine Weile so da und blinzelte in die helle Sonne, während wirre Details des vergangenen Abends wie Traumfetzen zurückgeschwebt kamen; dann langte ich nach meiner Armbanduhr auf dem Nachttisch und sah, daß es schon spät war, fast Mittag. Wieso war niemand vorbeigekommen, um mich abzuholen? Ich stand auf, und mein Bild im Spiegel gegenüber hob sich mir entgegen; dann hielt es inne und
starrte mich an – die Haare zu Berge gesträubt, den Mund in idiotischer Verblüffung aufgeklappt – wie eine Comicfigur, die einen Amboß auf den Kopf gekriegt hat, so daß ihr nun Sterne und kleine Vögelchen zwitschernd um die Stirn kreisen. Und was das Erschreckendste war: Ein prachtvolles, dunkles Veilchen prangte in den sattesten Schattierungen von Purpur und Pflaumenblau um meine

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