Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
hasse Freitage. Mittwoche übrigens auch. Unglückstage. Schmerzensreicher Rosenkranz.« Er lag im Bett und starrte an die Decke. Dann sagte er: »Hast du auch das Gefühl, daß etwas wirklich Furchtbares passieren wird?«
Ich erschrak. »Nein«, sagte ich abwehrend, aber das war alles andere als die Wahrheit. »Was glaubst du denn, was passieren wird?«
»Ich weiß nicht«, sagte er, ohne sich zu rühren. »Vielleicht irre ich mich auch.«
»Du solltest mal ein Fenster aufmachen«, sagte ich. »Es riecht hier drin.«
»Ist mir egal. Ich kann nichts riechen. Ich habe eine Sinusinfektion.« Lustlos tastete er mit einer Hand nach den Zigaretten auf dem Nachttisch. »O Gott, ich bin so deprimiert«, sagte er. »Ich schaffe es im Moment nicht, Charles zu sehen.«
»Wir müssen aber.«
»Wie spät ist es?«
»Ungefähr elf.«
Er schwieg einen Moment. Dann sagte er: »Hör mal. Ich hab’ eine Idee. Laß uns irgendwo essen. Danach gehen wir hin.«
»Wir werden uns die ganze Zeit den Kopf zerbrechen.«
»Dann laß uns Julian einladen. Ich wette, er kommt.«
»Wieso willst du Julian einladen?«
»Weil ich deprimiert bin. Überhaupt, es ist immer nett, ihn zu sehen.« Er rollte sich auf den Bauch. »Vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht.«
Julian machte die Tür auf – nur einen Spaltbreit, wie damals, als ich das erstemal bei ihm angeklopft hatte – und öffnete sie weit, als er sah, wer da war. Sofort fragte Francis, ob er mit zum Mittagessen kommen wolle.
»Natürlich. Mit Vergnügen.« Er lachte. »Das ist wirklich ein sonderbarer Vormittag. Höchst eigenartig. Kommen Sie herein!«
Dinge, die nach Julians Definition eigenartig waren, erwiesen sich oft als amüsant profan. Aus freien Stücken pflegte er so wenig Kontakt mit der Außenwelt, daß er das Normale häufig als bizarr betrachtete: einen Bankautomaten, zum Beispiel, oder irgendeine neue Eigentümlichkeit im Supermarkt – Frühstücksflocken in Vampirgestalt oder ungekühlten Joghurt, der in Konservendosen mit Aufreißring verkauft wurde. Uns allen machte es Spaß, von seinen kleinen Ausflügen ins zwanzigste Jahrhundert zu hören, und so bedrängten Francis und ich ihn, uns zu erzählen, was nun wieder passiert sei.
»Nun, die Sekretärin von der literatur- und sprachenwissenschaftlichen Fakultät war eben hier«, sagte er. »Sie hatte einen Brief für mich. Im Fakultätsbüro haben sie Eingangs- und Ausgangsfächer, wissen Sie – man kann Sachen zum Tippen dalassen oder Nachrichten abholen, auch wenn ich das nie tue. Jeder, mit dem ich auch nur im geringsten zu sprechen wünsche, weiß mich hier zu erreichen. Dieser Brief« – er deutete auf den Tisch, wo der Brief offen neben seiner Lesebrille lag –, »der an mich gerichtet war, landete irgendwie im Fach eines Mr. Morse, der anscheinend gerade ein Sabbatjahr hat. Sein Sohn kam heute morgen vorbei, um seine Post abzuholen, und stellte fest, daß er aus Versehen im Fach seines Vaters abgelegt worden war.«
»Was ist es für ein Brief?« fragte Francis und beugte sich herüber. »Von wem ist er?«
»Von Bunny«, sagte Julian.
Schrecken durchfuhr mein Herz wie ein blitzendes Messer. Wie
vom Donner gerührt, starrten wir ihn an. Julian lächelte und legte eine dramatische Pause ein, damit unsere Verblüffung zu voller Blüte heranreifen konnte.
»Nun, natürlich ist er nicht wirklich von Edmund«, sagte er. »Es ist eine Fälschung, und nicht einmal eine besonders gute. Das Ding ist mit der Maschine geschrieben, und es trägt weder Unterschrift noch Datum. Das macht keinen völlig echten Eindruck, nicht wahr?«
Francis hatte die Sprache wiedergefunden. »Maschinengeschrieben?« fragte er.
»Ja.«
»Bunny hatte keine Schreibmaschine.«
»Nun, er hat fast vier Jahre lang bei mir studiert, und bei mir hat er niemals etwas Maschinengeschriebenes abgeliefert. Soweit ich weiß, konnte er überhaupt nicht maschinenschreiben. Oder?« Er blickte auf und machte ein durchtriebenes Gesicht.
»Nein«, sagte Francis nach einer ernsten, nachdenklichen Pause, »nein, ich glaube, da haben Sie recht.« Ich wiederholte es wie ein Echo, obwohl ich wußte – und Francis wußte es auch –, daß Bunny sehr wohl hatte maschinenschreiben können. Er hatte keine eigene Maschine besessen, das stimmte; aber er hatte sich oft die von Francis ausgeliehen oder eine der klebrigen alten mechanischen in der Bibliothek benutzt. Tatsache war – auch wenn darauf niemand hinzuweisen gedachte –, daß
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