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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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keiner von uns Julian je etwas Getipptes ausgehändigt hatte. Das hatte einen einfachen Grund. Es war unmöglich, das griechische Alphabet mit einer englischen Schreibmaschine zu schreiben; und obwohl Henry sogar irgendwo eine kleine tragbare Schreibmaschine mit griechischen Typen hatte, die er in den Ferien auf Mykonos gekauft hatte, benutzte er sie nie, weil die Tastatur, wie er mir erklärte, anders angelegt war als die englische und er fünf Minuten brauchte, nur um seinen eigenen Namen zu tippen.
    »Es ist schrecklich traurig, daß jemand auf die Idee kommt, einen solchen Streich zu spielen«, meinte Julian. »Ich kann mir nicht vorstellen, wer so etwas tun sollte.«
    »Wie lange lag er denn im Postfach?« fragte Francis. »Wissen Sie das?«
    »Ja, das ist auch so eine Sache«, sagte Julian. »Er kann jederzeit hineingelegt worden sein. Die Sekretärin sagte, der Sohn von Mr. Morse sei seit März nicht mehr da gewesen, um nach der Post seines Vaters zu sehen. Was natürlich heißt, daß er auch gestern
hineingelegt worden sein kann.« Er deutete auf den Umschlag, der auf dem Tisch lag. »Sehen Sie. Da steht nur mein Name in Maschinenschrift auf der Vorderseite, kein Absender, kein Datum und natürlich keine Briefmarke. Offensichtlich ist es das Werk eines Spinners. Aber ich kann mir nicht vorstellen, weshalb jemand einen so grausamen Scherz machen sollte. Ich hätte fast Lust, den Dekan zu informieren, obwohl der Himmel weiß, daß ich die Sache nach all dem Wirbel nicht noch einmal aufrühren möchte.«
    Jetzt, nachdem der erste Schreck sich gelegt hatte, konnte ich allmählich wieder ein bißchen leichter atmen. »Was ist es denn für ein Brief?« fragte ich.
    Julian zuckte die Achseln. »Sie können ihn sich ansehen, wenn Sie möchten.«
    Ich nahm den Brief. Francis schaute mir über die Schulter. Er war engzeilig geschrieben, auf fünf oder sechs kleinen Blättern, von denen einige einem Schreibpapier, das Bunny einmal gehabt hatte, nicht unähnlich waren. Aber obwohl die Blätter ungefähr gleich groß waren, paßten sie nicht alle zusammen. Daran, daß das Farbband manchmal eine Type halb rot, halb schwarz abgedruckt hatte, erkannte ich, daß der Brief auf der Schreibmaschine in dem Tag und Nacht geöffneten Arbeitsraum getippt worden war.
    Der Brief selbst war sprunghaft, unzusammenhängend und – wie ich mit verblüfften Augen sah – unzweifelhaft echt. Ich überflog ihn nur kurz und erinnere mich derart lückenhaft daran, daß ich ihn hier nicht wiedergeben kann, aber ich weiß noch, daß ich dachte, wenn Bunny ihn geschrieben habe, müsse er einem Zusammenbruch sehr viel näher gewesen sein, als wir alle gedacht hatten. Er wimmelte von Gossenausdrücken unterschiedlichster Art, und es war schwer vorstellbar, wie Bunny sie selbst unter schwierigsten Umständen in einem Brief an Julian hätte benutzen können. Er war nicht unterschrieben, aber es gab mehrere klare Hinweise, die deutlich machten, daß Bunny Corcoran oder jemand, der Bunny zu sein vorgab, der Verfasser war. Die Orthographie war mangelhaft und enthielt viele von Bunnys typischen Fehlern, was Julian zum Glück nicht weiter auffallen konnte, weil Bunny ein so schlechter Schreiber gewesen war, daß er alles, was er abgab, vorher von jemandem hatte überarbeiten lassen. Aber das Ding war so verworren und paranoid, daß selbst ich an seiner Autorschaft gezweifelt hätte, wäre da nicht der Hinweis auf den Mord in Battenkill gewesen: »Er« – (Henry nämlich; so ähnlich lautete es an einer Stelle des Briefes ungefähr) – »ist ein gottverdammtes
Monster. Er hat einen Mann umgebracht, und er will Mich auch umbringen. Alle steken mit drin. Den Mann haben sie im October umgebracht, in Battenkill County. Er hieß McRee. Ich glaube, sie haben ihn totgeschlagen, aber ich bin nicht sicher.« Es gab noch weitere Anschuldigungen; einige stimmten (die Sexualpraktiken der Zwillinge), andere nicht – und alle waren so wüst, daß sie nur dazu beitrugen, das Ganze zu diskreditieren. Mein Name kam nicht vor. Der Brief war in einem verzweifelten, betrunkenen Tonfall geschrieben, der mir ganz vertraut vorkam. Ich kam erst später darauf, aber heute glaube ich, er muß in derselben Nacht in den Arbeitsraum gegangen sein und den Brief geschrieben haben, als er betrunken bei mir im Zimmer gewesen war, und zwar unmittelbar davor oder danach – wahrscheinlich danach –, und in diesem Fall war es ein reines Glück, daß wir einander nicht über den Weg

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