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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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meiner Lieblingsbücher, und ich hatte es aus der Bibliothek geholt, weil ich gehofft hatte, es werde mich aufheitern; natürlich machte es mich noch niedergeschlagener, weil ich in meinem humorlosen Zustand nicht in der Lage war, darin irgend etwas anderes zu sehen als das, was ich mir als gewisse tragische Ähnlichkeiten zwischen Gatsby und mir zurechtlegte.
     
    »Ich weiß, wie man überlebt«, sagte das Mädchen auf der Party zu mir. Sie war blond und braun und zu groß – fast so groß wie ich –, und ohne zu fragen, wußte ich, daß sie aus Kalifornien war. Vermutlich war es etwas in ihrer Stimme, etwas an der durchgehenden
Bräune der sommersprossigen Haut, die sich straff über ein knochiges Schlüsselbein, über ein noch knochigeres Brustbein und die Rippen spannte, völlig ungemildert von irgendwelchen Brüsten, und die sich mir durch die Lücken eines Mieders von Gaultier präsentierte. Ich wußte, daß es von Gaultier war, weil sie es sozusagen beiläufig angemerkt hatte. Für mich sah es bloß aus wie ein Taucheranzug, der vorn grob verschnürt war.
    Sie brüllte mir über die Musik hinweg in die Ohren. »Ich schätze, ich hab’ ein ziemlich hartes Leben gehabt, mit meiner Verletzung und all dem« – davon hatte ich schon bei früherer Gelegenheit gehört: Sehnenriß, ein Verlust für die Welt des Tanzes, ein Gewinn für die Performance-Kunst –, »aber ich schätze, ich hab’ einfach ein starkes Gefühl meiner selbst, meiner eigenen Bedürfnisse. Andere Leute sind mir wichtig, sicher, aber ich kriege von ihnen immer, was ich will, weißt du.« Ihre Stimme klang schroff von dem Stakkato, das Kalifornier sich manchmal angewöhnen, wenn sie sich allzu große Mühe geben, aus New York zu kommen; aber dennoch konnte sie die Fröhlichkeit des »Golden State« Kalifornien nicht ganz verleugnen. Sie war ein hübsches, ausgebranntes, hohles Mädchen von der Sorte, die mir zu Hause nicht mal gesagt hätte, wie spät es ist. Aber jetzt erkannte ich, daß sie versuchte, mich aufzureißen.
    »Willst du eine Zigarette?« brüllte ich sie an.
    »Ich rauche nicht.«
    »Ich auch nicht, außer auf Parties.«
    Sie lachte. »Na ja, gut, dann gib mir eine«, schrie sie mir ins Ohr. »Du weißt auch nicht, wo wir Pot herkriegen können, was?«
    Als ich ihr Feuer gab, stieß mir jemand den Ellbogen ins Kreuz, und ich taumelte vorwärts. Die Musik war irrsinnig laut, und die Leute tanzten, und auf dem Boden waren Bierpfützen, und an der Bar drängte sich eine wüste Meute. Ich konnte nicht viel sehen außer einer dantesken Masse von Leibern auf der Tanzfläche und einer Rauchwolke unter der Decke, aber wo das Licht aus dem Korridor sich in die Finsternis ergoß, sah ich hier ein umgestoßenes Glas, dort einen breiten, lachenden Lippenstiftmund. Was Parties angeht, war diese hier schauderhaft, und es wurde schlimmer - bestimmte Erstsemester hatten bereits angefangen, sich zu übergeben, während sie in jammervollen Schlangen vor den Toiletten warteten –, aber es war Freitag, und ich hatte die ganze Woche nur gelesen, und mir war es egal. Ich war sicher, daß keiner meiner Mitstudenten aus dem Griechischkurs dasein würde. Ich war seit
Schulbeginn auf jeder Friday Night Party gewesen, und ich wußte, daß sie sie mieden wie den Schwarzen Tod.
    »Danke«, sagte das Mädchen. Sie hatte sich in ein Treppenhaus gedrückt, wo es ein bißchen ruhiger war. Jetzt war es möglich, sich zu unterhalten, ohne zu brüllen, aber ich hatte zirka sechs Wodka-Tonic getrunken und hatte keinen blassen Schimmer, was ich zu ihr sagen sollte.
    »Äh, was ist eigentlich dein Hauptfach?« fragte ich schließlich betrunken.
    Sie lächelte. »Performance-Kunst. Das hast du mich schon mal gefragt.«
    »Sorry. Vergessen.«
    Sie musterte mich kritisch. »Du solltest ein bißchen lockerer sein. Guck dir mal deine Hände an. Du bist ganz verspannt.«
    »Das ist aber ungefähr das Lockerste, was ich hinkriege«, sagte ich durchaus wahrheitsgemäß.
    Sie sah mich an, und in ihrem Blick dämmerte Erkennen auf. »Ich weiß, wer du bist«, sagte sie und schaute auf meine Jacke und meine Krawatte mit den Bildern von Männern, die Rehe jagten. »Judy hat mir alles über dich erzählt. Du bist der Neue, der mit diesen Gruseltypen Griechisch studiert.«
    »Judy? Was heißt das, Judy hat dir alles über mich erzählt?«
    Sie ging über die Frage hinweg. »Du solltest lieber aufpassen«, sagte sie. »Ich hab’ beschissen unheimliche Geschichten über

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