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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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hat dich so sehr geliebt, daß sie dich nicht bei den Nonnen lassen wollte, und ich habe dich so sehr geliebt, daß ich nicht wollte, daß man dich verstößt oder unversorgt läßt. Du warst doch sein Kind und – soviel ich weiß – das letzte Mitglied seiner Familie. Du siehst also, wegen der Liebe, die ich einst für ihn empfunden habe, mußt du leben und Nicolas heiraten.«
    »Also ist Vater nicht mein Vater, sondern er hat meinen wirklichen Vater ermordet?«
    »Ja, es tut mir leid, aber es ist so. Du siehst also, daß du keinerlei schuld hast am Tod meines Bruders. Seine Gier hat ihn getötet.«
    »Aber woher hat Großvater gewußt, wann sie fliehen wollten?«
    »Ich – ich weiß nicht – er hat, glaube ich, einen Brief abgefangen…«, stammelte Tantchen, aber irgendwie war mir klar, daß ich das nie wieder fragen durfte. Es gibt eine Wahrheit, die so abgründig ist, daß man darin ertrinken kann. Also, nicht weiter. Und ich konnte mir vorstellen, daß es vielleicht Vater war. Schließlich hatte seine Familie jahrelang versucht, diese Ehe einzufädeln, wurde jedoch von Mutter s Familie abgewiesen, bis ihr Ruf ruiniert war. Wie hätte er sonst wohl auf Einheirat in eine Familie hoffen können, die so viel älter und wohlhabender war als seine eigene? Wie seltsam, wie furchtbar: Vater hatte meinen Vater umgebracht. Und das kurze Zeit nachdem Mutters jüngerer Bruder gestorben war und sie zur alleinigen Erbin gemacht hatte. Wer würde wohl nicht einen Brief abfangen, wenn ein Vermögen zu gewinnen war? Gewonnen und zerronnen wie Wasser…

    Eine Woche später zogen wir in Tantchens Haus nach Orléans, während Mutter auf dem Gut blieb, mit leerem Blick wie eine Tote von Zimmer zu Zimmer geisterte und ihre jüngeren Kinder tröstete, doch sie war sonderbar abwesend. Mir schien, als wäre nach ihren Jahren im Fegefeuer nur sehr wenig von ihrem wahren Selbst übriggeblieben. Jahre der Strafe, des stillen Trotzes und des Argwohns hatten an ihrer Seele genagt, und dabei war sie so bleich und durchscheinend geworden wie Tantchens Gespenster.
    Glücklicherweise gehörten Madame Montvert und ihre Tochter nicht zu den Menschen, die Gespenster sehen konnten, und sie waren sehr froh, als sie endlich La Roque-aux-Bois und seine gräßlichen Ereignisse hinter sich lassen konnten. Sie staunten nicht wenig über Tantchens barbarischen Möbelluxus, ihre Samtvorhänge, ihr Silber, ihre sonderbaren antiquierten Gewänder, von denen sie mehrere als »haargenau richtig« befanden, so daß man sie für Clarette umändern konnte. Und natürlich war da Matheline, deren Gatte solch teurer Freund des alten Monsieur Montvert war, daß sie einfach hatte kommen müssen, »trotz des Skandals, meine liebe Sibille. Und ist es nicht schrecklich! Villasse soll den Verstand verloren haben und nur noch dummes Zeug über Köpfe ohne Leib faseln.«
    »Köpfe ohne Leib? Ei, dann ist er gewißlich irre«, sagte Tante Pauline. »Nehmt doch noch eine von diesen kandierten Mandeln, liebe Matheline, und erzählt von Euch.«
    »Ach, Ihr wißt doch, wie ungern ich über mich selbst rede. Aber mein kleiner literarischer Salon ist zu einer festen Einrichtung geworden, ja, zu einem Fixpunkt im kulturellen Leben dieser Stadt. Vornehme Gäste – ach, so viele! Jeder hat von meinem Zirkel gehört! Ei, erst gestern hat ein ungemein vornehmer Herr von Stand – keine Namen bitte – mich mit Tränen in den Augen um eine Einladung angefleht. Und Ihr, liebste Clarette, Ihr und Eure Mutter müßt einfach am nächsten Dienstag kommen… nicht auszumalen: d'Estouville endlich unter der Haube! Und sein Onkel so hoch in Gunst beim König! Und du, Sibille, ihr müßt alle kommen… Diese Tragödie, diese Tragödie – sie ist in aller Munde… Ich bin mir sicher, daß du noch zu gramgebeugt zum Lesen bist, Sibille, aber wenn du einfach nur so erscheinen würdest…«
    Um die Neugier und die Skandallust deiner versammelten Freundinnen zu befriedigen, dachte ich. Matheline, du änderst dich nie. Es gibt durchaus einen Grund, warum jeder auf zehn Meilen im Umkreis darauf brennt, deinem cénacle beizuwohnen, und der hat nichts mit den Gedichten zu tun, die dort gelesen werden…
    »Ei, wie hält man einen solchen Erfolg nur aus?« fragte Tantchen.
    »Ich bemühe mich, bemühe mich… Aber offen gestanden, zuweilen bin ich derart ausgelaugt. Glücklicherweise, teure Freundin, ist mein Gatte ein Heiliger.« Bei diesen Worten warfen sich Clarette und ihre Mutter einen

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