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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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uns eine solche Bittschrift aufsetzen? Wer könnte noch rechtzeitig einen Advokaten herholen? Und wie käme sie zum Bischof…? Die Wippe – damit werden sie doch wohl keinen Mann von edler Abkunft foltern –, Ketzerei… wer weiß, was sie da alles machen? Oh, du lieber Gott, lieber Gott, wenn doch nur Annibal hier wäre.« Der Tumult und die schlechten Nachrichten hatten meine Schwestern und mehrere Hausdiener herbeigelockt, und nun drängten sie sich mit verstörten Blicken und ernsten Mienen in der Küche.
    »Maman«, sagte Françoise und zupfte an Mutters Röcken, um auf sich aufmerksam zu machen. »Maman, Sibille ist sehr klug.«
    »Oh, mir schwirrt der Kopf. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich brauche Annibal, wir müssen ihn holen lassen…«
    Die in meinen Unterrock eingenähten Goldstücke wogen schwerer und schwerer, fast konnte ich spüren, wie sie ein Loch brannten. Damit kannst du alles erreichen, flüsterten sie.
    Du kannst einen Advokaten bestellen, der das Gesetz prüft und beweist, daß Vater wirklich nicht mit Ketzern gemeinsame Sache macht. Du kannst in die Stadt reisen und den Bischof aufsuchen. Er wird dir die Audienz nicht abschlagen; schließlich hat er dich vor langer Zeit höchstpersönlich getauft, als er noch Priester war, oder? Schon sah ich mich in tragisches Schwarz gehüllt, wie ich ihm eine Bittschrift überreichte, die so elegant und ergreifend formuliert war, daß dem Leser die Tränen in die Augen stiegen und ihn zugleich zu großer Bewunderung für die Verfasserin bewogen. Oh, aufrüttelndes und tiefschürfendes Wort, was kannst du nicht alles mit Hilfe eines inspirierten Geistes vollbringen?
    »Sibille, du mußt diese Bittschrift aufsetzen und Vater retten«, sagte Isabelle. »Annibal ist zu weit fort. Nur du kannst es.« Bei ihren Worten fegte mein edleres Selbst in einem wahren Sturzbach hehrer Gefühle alle Zweifel hinweg. Falls ich meinen Vater rettete, würde er sich nie wieder Bemerkungen über meine großen Füße erlauben und meinen knochigen Körperbau. Aus dem grausamen Kerker und vom drohenden Schatten des Galgens befreit, würde er mir die Füße küssen, auch wenn sie noch so großzügig bemessen waren, und sie in Dankestränen baden. Allein schon der Gedanke war so schön, daß mein vernünftiges Selbst, diese niederträchtige leise Stimme, im Rausch einer köstlichen Vorfreude völlig übertönt wurde.
    »Ich weiß genau, was ich zu tun habe«, sagte ich. »Ich habe alles in einem Buch gelesen. Man nimmt seine Bittschrift, wirft sich vor dem Bischof zu Boden und weint, und dann gewährt er einem die Bitte.«
    »War das ein Buch über Bischöfe?« fragte Laurette, deren kleines Hirn und unempfindsames Wesen sie oft dazu verleiteten, Menschen zu mißtrauen, die von edleren Gefühlen inspiriert wurden.
    »Nicht genau, eher eines über Bittschriften.«
    »Über was für welche? Bittschriften für Ketzer?« In diesem Augenblick sahen ihre blauen Augen wie emaillierte Perlen der gewöhnlicheren Art aus.
    »Nein, über Bittschriften für Verräter, was fast auf dasselbe hinausläuft. Dort wird beispielsweise beschrieben, wie die Herzogin von Valentinois ihren alten Vater vor dem Tod als Verräter bewahrt hat, indem sie sich König Franz zu Füßen warf.«
    »Sibille! Das ist eine schreckliche, skandalöse Geschichte«, rief Mutter und war auf einmal ganz von ihrem Kummer abgelenkt. Sie blickte mich mit rotgeränderten Augen an und legte dann die Hand aufs Herz. »Woher hast du solch eine schmutzige Geschichte?«
    »Von Matheline. Wir Mädchen haben eine bedeutsame Diskussion darüber geführt.«
    »Im Kloster?« entrüstete sich Mutter.
    »Oh, aber es ging doch um das moralische Prinzip. Ich meine, wir haben nicht das Buch an sich erörtert, aber wir hatten es alle gelesen. Matheline sagte, das sei in Ordnung, weil wir unbedingt wissen müssen, ob es besser ist, ungehorsam zu sein und das Rechte zu tun oder gehorsam zu sein und das Böse triumphieren zu lassen. Der Vater der Herzogin hat ihr für ihre Tat aus tiefstem Herzen gedankt.«
    »Und Matheline hat das verwerfliche Buch also heimlich herumgehen lassen. Was hat sie euch sonst noch gezeigt? Diese Matheline ist ja ein Wolf im Schafspelz!«
    »Aber, Mutter«, sagte ich, denn mir schoß da etwas durch den Kopf, »woher wißt Ihr denn, was in dem Buch steht?«
    »Ich bin auch einmal jung gewesen«, erwiderte Mutter mit eisiger Stimme. »Und ich habe dafür gezahlt. Ich hatte gehofft, du würdest es besser

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