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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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machen.«
    »Wer sonst geht hin und bittet für Vater, wenn nicht ich?«
    »Ich schicke Vincent im Morgengrauen los, damit er Annibal Nachricht bringt. Annibal soll seinen Einfluß bei den Montmorencys geltend machen; er muß zum Konnetabel höchstpersönlich gehen und für seinen Vater bitten.«
    »Und angenommen, er schafft es nicht mehr rechtzeitig?«
    »Oh, Annibal, Annibal, wenn du doch nur nicht so schnell aufgebrochen wärst!« Mutter rang die Hände, dann beugte sie sich vornüber, weil sie wieder einen Hustenanfall bekam. Mit halbgeschlossenen Augen in Vaters großen Stuhl gelehnt, erteilte sie den Befehl, einen Stallburschen auf unserem zweitbesten Pferd gen Norden zu schicken, Annibal in Compiègne aufzusuchen und ihm zu sagen, er solle ihre Bitte dem großen Konnetabel Montmorency vortragen, damit er sich wegen Vaters früherer Verdienste für die Krone für ihn einsetzte. »Töchter«, so hauchte sie, als man sie halb ohnmächtig in ihr Zimmer trug, »können nichts anderes tun als beten.«

    Es war fast Mitternacht. Mein Hirn loderte von tausend Sorgen, während ich im Nachtgewand an ebendem Tisch saß, an dem ich mit meiner Unterschrift auf meine Freiheit und Großvaters Weinberg verzichtet hatte. Das Haus schlief, ich aber schrieb und schrieb. Eine beinahe heruntergebrannte Kerze warf ihren matten Schein auf ein Meer von zerknüllten Blättern. Ich legte die Feder beiseite und prüfte die letzte und gelungenste Fassung. Warum wirkte mein poetischer Stil nur so albern und unzulänglich? War die Dunkelheit schuld, die sommerliche Hitze, die mir den Schweiß auf die Stirn trieb und mir die Hände feucht werden ließ? Vielleicht sollte ich es in einem herkömmlicheren Stil angehen, etwas strenger und mit weniger Adjektiven. Ich griff erneut zur Feder und las: »Oh, hört den verzweifelten und jammervollen Aufschrei elender und hilfloser Waisen, hoher christlicher, großmütiger und scharfsichtiger Herr…« Resolut kratzte ich ›Waisen‹ weg und ersetzte sie durch ›treuer und gehorsamer Töchter der Kirche‹. Waisen deutete vielleicht an, daß Vater am Ende doch schuldig war. Aber irgendwie wirkte der Zusatz auch nicht passend. Ich zerknüllte das Papier, griff zu einem weiteren Blatt und begann erneut. Irgendwo, irgendwo, dachte ich, muß es eine Muse der amtlichen Dokumente geben, verschrumpelt wie eine Pflaume, gekleidet in eine triste Robe, die mit Siegelwachs geziert ist. So sitzt sie irgendwo auf einem Thron aus vergilbtem Papier und macht sich über mich lustig. Ach, warum mußte ich mich nur so brüsten, warum war ich mir so sicher gewesen, daß meine leidenschaftlich flammende Feder der Aufgabe gewachsen war?
    Mein Blick schweifte gedankenverloren über die dunkle Wand, die voller stachliger Geweihe von längst verblichenen Hirschen hing. Genau in diesem Augenblick vernahm ich auf dem Hof, hinter den geschlossenen Fensterläden der Diele, ein ganz, ganz leises Geräusch. Es hörte sich an wie sorgfältig umwickelte Pferdehufe. Das kann nicht sein, dachte ich. Unsere Gutsgebäude, das Gutshaus, die Gesindewohnungen, die Ställe und Scheuern bilden eine hohe Mauer um das geschlossene Geviert des Hofes. Und drumherum zieht sich ein beschaulicher Burggraben, der mit Pappeln bepflanzt ist. Wer auch immer naht, er muß durch das Tor oder durch die kleine Tür unter dem Haus des Torwächters, wo Vincent wohnt. Und Vincent verriegelt jeden Abend als letztes das große Tor sowie das Halbtor und läßt die Bulldoggen auf den Hof. Dort kann niemand sein. Selbst der arme Gargantua, das nutzloseste Geschöpf auf Gottes weiter Welt, der nur unter unserem Bett schlafen will, war in die Sommernacht hinausgeschickt worden, weil er der Köchin einen frisch gerupften Kapaun vor der Nase weggestohlen hatte. Wer kommt schon ohne eine laute Begrüßung an Gargantua vorbei? Meine Nerven sind wirklich nicht die besten, dachte ich.
    Leise stand ich auf und ging zu den geschlossenen Fensterläden, wo ich eingehender lauschen konnte. Plötzlich war ich mir sicher. Direkt vor den Fensterläden, fast vor mir, hörte ich leise Schritte, und dann schlug etwas mit einem Rums an die Mauer. Warum hatten die Hunde nicht gebellt? Ich hörte einen geflüsterten Befehl. Fremde waren auf dem Hof und lehnten eine Leiter an die Mauer zu den Schlafzimmern im ersten Stock über der Diele, wo meine Schwestern schlafend im großen Bett lagen, das wir uns alle teilten.
    Trotz meines zartbesaiteten Naturells rinnt in meinen Adern

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