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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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mit dir umgesprungen sein.« Was hatten Tantchens absonderliches Haus und ihre noch absonderlichere Erscheinung nur an sich, daß ich mir wund und bloß vorkam und ich mich danach sehnte, ihr meine sorgsam gehüteten Geheimnisse anzuvertrauen.
    »Ich bin schlimmer als eine übel beleumdete Person, Tantchen. Ich bin eine Mörderin. Und falls Vater nicht freikommt, auch eine Bettlerin. Wirst du mich nun aus dem Haus weisen?« Sie blickte mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen an, deren Pupillen im Halbdunkel wie große schwarze Brunnen waren.
    »Eine Mörderin? Der Daus, wie diskret sich deine Mutter in ihrem Brief ausdrückt. Wen hast du denn ermordet?« Tantchen blieb ganz gelassen.
    »Meinen Verlobten, Thibauld Villasse.«
    Bei diesen Worten ließ die alte Frau ein seltsames Geräusch vernehmen, halb war es ein Schnauben, halb ein Kichern. Als sie sich wieder gefaßt hatte, sagte sie: »Zieh dir einen Stuhl heran, mein Schatz. Ich will alles darüber wissen. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich dein Geheimnis wahre. Danach dann ein bescheidenes Abendessen.« Sie läutete ein Silberglöckchen. »Arnaud«, sagte sie, »lege ein drittes Gedeck auf. Meine Patentochter wird ein Weilchen bei uns bleiben.«
    Ich hatte die Geschichte, wie sich Thibauld plötzlich und unerwartet die religiöse Literatur zu eigen gemacht hatte, kaum zu Ende erzählt, da war es Zeit, die Unterhaltung an den zum Abendessen gedeckten Tisch zu verlegen.
    »Du meine Güte, mein Schatz«, sagte sie, während sie sich an Dutzenden üppiger Speisen gütlich tat, die eine nach der anderen aufgetragen wurden, »du ißt ja wie ein Spatz. Kein Wunder, daß du so dünn bist.«
    »Tantchen, obwohl ich hungrig bin, bekomme ich kaum einen Bissen hinunter. Ich mache mir solche Sorgen um Vater, daß ich Magenschmerzen habe.« Bei der Erwähnung ihres Bruders rümpfte sie fast unmerklich die Nase, dann bediente sie sich von der Entenbrust mit kandierter Orangenschale und einem eigenartigen Gewürz, das für mich fast unerträglich roch. Ihre Tafel ist wirklich sonderbar, dachte ich, während ich ihr beim Kauen zusah. Mir gegenüber befand sich ein leerer Platz, der mit einem kleinen Silberkelch und Teller gedeckt war. Der Stuhl davor war hoch, schmal und hatte ein Kissen.
    »Um den solltest du dich heute abend nicht kümmern«, bemerkte sie. »Es ist wichtiger, daß du ißt und dich ausruhst. Du hast gewiß einen furchtbaren Schreck bekommen. Villasse. Ha, ha, ha.« Sie wischte sich die Lippen mit der Serviette, dann nahm sie von dem Rindsragout in einer großen Silberschüssel. »Jammerschade, daß es Señor Alonzo nicht beliebt, uns Gesellschaft zu leisten. Sieh mal. Ich habe heute abend sein Lieblingsgericht auftragen lassen, kandierte Birnen. Das wird ihn ärgern, diesen undankbaren Wicht. Leider, mein Schatz, ist er eifersüchtig, weil du gekommen bist. Er wird von Jahr zu Jahr verhätschelter.« Aha, das war also Señor Alonzos Stuhl, kein Kinderstuhl. Er mußte ein Zwerg sein. Alle reichen Damen halten sich Zwerge und Narren. Die vertreiben ihnen zwischen Karten, Klatsch und der Jagd die Zeit. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, daß Tantchen etwas für die Jagd übrig hatte.
    »Wer…«
    »Also, du mußt mir jetzt genau erzählen, wie du Villasse' Ableben bewerkstelligt hast. Ich möchte mir die Einzelheiten auf der Zunge zergehen lassen.« Tantchen war schon ein sonderbares Publikum. Wo ich erwartete, daß sie die Stirn runzelte, lachte sie ihr eigentümliches Lachen, wo ich Entsetzen erwartete, zeigte sie großäugige Sorge, wo Interesse, da Mißbilligung. Jemand wie sie war mir noch nie begegnet. Sie schien keine Ahnung davon zu haben, was sich im Leben gehörte und was sich nicht gehörte. Und während sie redete und zuhörte, verspeiste sie ein erstaunliches Aufgebot an Speisen. »Du sammelst Steine?« fragte sie, als ich ihr von Monsieur Villasse' blutrünstigem Tod erzählte. »Welche Arten? Oh, wie interessant. Aber du hast keinen Magenstein. Ich besitze mehrere. Vermutlich sind sie zu kostspielig für die Sammlung eines Mädchens. Aber du scheinst mir viel von Naturwissenschaften zu verstehen. Ach was, du zeichnest Knochen? Das würde ich eines Tages gern einmal sehen. Dieser Villasse, der hat erhalten, was er verdient. Aber wenn du deinen Vater freibekommst, kannst du gewiß sein, daß es seine Familie nie wagen wird, ein Wort darüber zu verlieren. Und nun sag einmal, interessierst du dich für Sterne? Ich ziehe die Nacht dem Tag

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