Die geheime Mission des Nostradamus
vor. Die Sterne leiten uns; die Sonne verdirbt lediglich den Teint. Zieh die Vorhänge auf, Sibille. Es ist jetzt dunkel genug, und ich möchte den Mond aufgehen sehen.«
»Er muß unseren Verwalter bestochen haben…«
»Ach, das soll vorkommen. Das kommt immer wieder vor. Hier, innerhalb der Stadtmauern, haben wir trotz der städtischen Wache auch unsere Entführungen. Villasse war schon immer ungestüm. Ein schlechter Charakterzug, findest du nicht auch? Da sieh mal, ist der Mond nicht prächtig? Hilf mir aus dem Stuhl, ich will zum Fenster und mich mit ihnen unterhalten. Mit wem? Mit den Sternen natürlich. Da, siehst du den Polarstern? Der ist mein Führer. Ein sicherer Hafen, sagte mein Seliger. Mögen sich die anderen bewegen, der da bleibt am Fleck. Sibille, ich habe dich nie vergessen, auch wenn sie das gern gesehen hätten. Manches ist richtig, manches falsch. Der Polarstern ist immer richtig. Villasse, mein Schatz, langweilt mich bereits. Er war böse. Nun wird er in der großen Gruft der Geheimnisse begraben, die unter dieser Stadt verborgen liegt. Es ist wirklich komisch, daß dich ausgerechnet ein Mord zu mir zurückgebracht hat. Eines Tages wirst du begreifen, warum.« Jählings durchzuckten mich Gewissensbisse. Sie bemerkte es und sagte: »Was ficht dich an, mein Schatz, habe ich etwas gesagt, was dich erschreckt hat? Leider habe ich mir im Verlauf der Jahre angewöhnt, die Menschen zu erschrecken.«
»Nein, das nicht, Tantchen. Mir liegt etwas auf der Seele. Ich habe ein Bündel, in dem ist etwas, das nicht mir gehört, und ich weiß nicht, wie ich den Besitzer finden soll. Er hat mir nämlich sehr geholfen. Aber wenn ich es wegwerfe, mache ich mich schuldig.«
»Laß mich Arnaud rufen«, sagte sie, nachdem sie sich meine Geschichte angehört hatte. »Die ganze Sache kommt mir ziemlich verdächtig vor. Nach dem, was du erzählst, ist dieser Mann wahrscheinlich ein abgebrühter Geselle, der seinen Sack ohne dessen Inhalt überprüft zu haben, in die Stadt schmuggeln wollte. Du bist ein dummes Gänschen, mein Schatz, und viel zu vertrauensselig im Umgang mit Fremden.« Sie läutete, und der holzbeinige Hausdiener kehrte mit einer weiteren Flasche Wein zurück, aus der er uns beiden erneut die Becher vollschenkte. »Arnaud, hol mir den Sack, der bei der Kiste meiner Patentochter war; ich will sehen, was darin ist. Es sollte mich doch sehr wundern, wenn es Salz ist.« Nochmals mußte ich meine Geschichte erzählen, während Arnaud aufmerksam lauschte. »Meiner Meinung nach wird er ihn sich holen«, sagte Pauline.
»Ganz meine Meinung«, pflichtete ihr der Diener bei. »Ich teile es dem Hausgesinde mit.« Arnaud stapfte davon und kam mit dem Sack zurück, damit Pauline ihn untersuchen konnte.
Doch als er ihn auf dem Tisch öffnete, fiel der Kerzenschein auf funkelndes Metall, und wir hielten einhellig den Atem an. Es handelte sich um einen schweren Lederkasten, der mit dem Wappen der Königin von Frankreich versiegelt war.
»Sibille, mein Schatz, das hier ist schlimmer, als ich befürchtete. Dein Fremder hat einen königlichen Kurier beraubt.«
»Ein königlicher Kurier stirbt lieber, als daß er sein Gepäck hergibt«, meinte Arnaud.
»Da hast du recht«, sagte Tantchen und wischte sich mit ihrer Serviette Reste von Fett aus dem Damenbart. »Die Frage ist nur, ob wir den Kasten vergraben oder morgen früh dem bailli schicken und behaupten, wir hätten ihn auf der Landstraße gefunden. Glücklicherweise sind die Siegel unversehrt, ich denke, wir können es mit dem bailli riskieren. Die Kunde wird sich verbreiten, also brauchen wir nicht zu befürchten, daß die Räuber auftauchen, um sich ihre Beute zu holen. Arnaud?«
»Wird gemacht, Madame.«
»Ausgezeichnet. Bring das Ding dahin zurück, wo du es gefunden hast. Und noch einen kleinen Schluck von dem Süßwein dort. Der ist gut zum Einschlafen.«
Stunden später, beschwipst vom Wein, folgte ich dem taktvollen Hausdiener mit dem Holzbein auf mein Zimmer. Der gestohlene Kasten, der Mord, den ich begangen hatte, die ganzen Ereignisse der vergangenen Stunden, setzten mir zu und machten mir angst, Gefühle, die sich in dem fremdartigen, nach Schimmel riechenden Haus verstärkten. Der Schein der Kerze, die Arnaud durch gewundene Flure und Räume vor mir hertrug, beleuchtete bizarre fremdländische Gegenstände, die zwischen Gobelins mit Heiligen und Nymphenstatuen aufgestellt waren. Da lehnten bemalte Lederschilde, Speere und Keulen von Wilden,
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