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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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Gargantua atmen. Doch dann wurde mir bewußt, daß da noch jemand anders atmete. Sehr, sehr leise, es war fast nur ein Hauch. Dieser gräßliche Affe, dachte ich, er hat sich zurückgeschlichen. Aber nein, die Tür war zu. Dann war ein leiser Laut zu vernehmen, ja, ein Flüstern, von oben auf der Kommode. Es ist doch der Affe, redete ich mir ein, und er hat Angst herunterzukommen, weil Gargantua hier ist. Ich zog mir die Bettdecke über die Ohren, drehte mich um und versuchte wieder einzuschlafen.
    Endlich, als das silbrige Licht in mein Zimmer drang, das unter dem rosigen Vorhang der Morgenröte hervorlugt (oh, Sibille, das ist sehr gut, das mußt du dir für dein nächstes Gedicht merken), zog ich mir die Bettdecke vom Gesicht und sah, daß der Affe nicht da war. Feder und Papier, dachte ich, ich muß das mit dem Vorhang der Morgenröte aufschreiben, ehe ich es über den Sorgen des Tages vergesse. Die Poesie, einst meine ganze Wonne, sei mir jetzt Trost. Barfuß und im Nachtgewand begann ich, in dem seltsamen Schlafzimmer herumzutapsen.
    Und da hörte ich das Geflüster, diesmal jedoch noch dringlicher als zuvor: »Du eingebildetes Weibsbild, bist du denn gar nicht neugierig? Mach die Schatulle auf, denn in ihr findest du ein Geheimnis, das dich zur größten Dichterin aller Zeiten macht.«
    Ohne nachzudenken entgegnete ich: »Wozu sollte das gut sein? Es gibt ohnedies kaum Frauen, die sich den Musen wahrhaft hingeben.« Beim Klang meiner Stimme wachte Gargantua auf.
    »Na, dann eben Dichter. Größter aller Schriftsteller, gottgleich verehrt, auf der ganzen Welt von Liebenden zitiert.« Das Geflüster klang jetzt gehetzt. Ja, ganz eindeutig. Es kam oben von der Kommode. Ich erstarrte. In der Schatulle war etwas, etwas Gräßliches. Und es flüsterte mir meine innigsten Träume zu. Ich erschauerte. Und war zugleich gedemütigt, weil diese vulgäre, schmeichlerische Flüsterstimme meine Geheimnisse ausplauderte. Also beschloß ich, diesen Kasten niemals aufzumachen. Je eher er auf dem Grund irgendeines Brunnens landete, desto besser.
    »Deine Träume auf dem Grund eines Brunnens? Wie könntest du dergleichen tun?« Gargantua knurrte, als könnte er es auch hören.
    Wenn etwas völlig Unlogisches geschieht, begegnet man ihm am besten mit Logik. Statt also wie eine Irre durch die Flure eines fremden Hauses zu rennen, redete ich lieber mit dem, was sich auf der Kommode befand: »Ich habe auf den Fremden gehört, und das hat mir nichts als Ärger eingetragen. Auf dich höre ich nicht. Wer du auch immer bist, ob Geist oder Dämon, ich habe genug von Versuchern. Die Zeit ist reif, daß du in die Feuergrube zurückkehrst. Ich hätte nicht übel Lust, dich exorzieren zu lassen.« Aus dem Kasten kam ein gespenstisches Wehgeschrei. Ganz klar ein Dämon, sonst hätte ihn die Drohung mit dem Weihwasser nicht so betrübt. Fast konnte er einem leid tun.
    »Oh, das ist das Ende. Ich bin doch nur ein armes, erbärmliches Ding und hier drinnen eingesperrt. Ich könnte dein Herzensschatz sein, sanft und liebreich…«
    »Lügner« entgegnete ich. Mein Gott, war das Ding schlau, es paßte sich jeder flüchtigen Laune an. So, sagt man, geht der Teufel vor.
    »O nein, gar nicht schlau. Ein bekümmertes, elendes kleines Ding, das sich nach einer reinen Jungfrau sehnt, die es erlöst und durch einen Kuß in einen schönen Prinzen verwandelt…« Bei der Vorstellung, ich wäre eine liebeskranke, schwachsinnige Träumerin, wurde ich wütend.
    »Es reicht!« schrie ich, stellte mich auf die Zehenspitzen, holte die Schatulle von der Kommode und stopfte sie in die lederne Depeschentasche.
    Als ich sie zuschließen wollte, flüsterte die Stimme ein letztes Mal: »Bist du denn gar nicht neugierig, wer ich bin, wenn mich die Königin von Frankreich so unbedingt haben will?« Dann schwieg sie.
    Vielleicht habe ich es umgebracht, weil ich so damit herumgepoltert habe, dachte ich. Es ist so schrecklich still. Was es wohl sein mag. Falls es tot ist, kann es mir nichts mehr tun. Es kann nicht so schädlich sein, wenn es die Königin höchstpersönlich haben will. Ich meine, wahrscheinlich ist es in einer Flasche oder so. Ich habe kein Glas bersten hören, also ist es nicht frei. Ein kleines Zauberding in einer Flasche. Ein Kobold oder eine Fee. Einmal kurz hineinschauen kann nicht schaden. Vor allem jetzt, wo es tot oder bewußtlos ist. Ich kann die Schatulle schnell wieder zuklappen, das ist, als hätte ich nie hineingeschaut. So viele Gedanken, aber

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