Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
Vom Netzwerk:
kein Geflüster. Nur Schweigen. Gespenstisches Schweigen. Ganz klar, das Ding war zumindest bewußtlos. Ich zog die reichverzierte, versilberte Schatulle aus der Tasche. Kein Laut, nicht einmal ein Atmen. Falls ich es umgebracht habe, muß ich es wissen, dachte ich. Nur ein einziger Blick, mehr nicht. Als ich die Schatulle heraushob, jaulte Gargantua, dann verschwand er unter dem Bett.
    Auf der Schatulle waren merkwürdige Buchstaben eingraviert, die ich nicht lesen konnte, weil ich dergleichen mein Lebtag nicht gesehen hatte. Auch die Zeichnung war recht sonderbar. Da war ein Ding in einem Streitwagen, das hatte gewundene Beine und einen Hahnenkopf. Über dem Schloß war ein Schild mit unsinnigen Wörtern in lateinischen Buchstaben angebracht. Ich schüttelte die Schatulle. Nichts klapperte. Ich schnupperte daran, roch aber nichts Ungewöhnliches. Ich stellte sie auf den Nachttisch und öffnete das Schloß, um einen winzigen Blick zu riskieren.
    Auf einmal war da ein Getöse, das rosige Licht der Morgendämmerung wurde jählings zu Mitternacht, der Deckel flog auf, und ein kräftiger Wind zerrte an meinem Nachtgewand und ließ die Bettlaken durchs Zimmer flattern. Als das Licht zurückkehrte, erblickte ich etwas unsäglich Altes und Böses, das auf einem modrigen, hellroten Seidenkissen in der Schatulle thronte. Es war ein mumifizierter Kopf, verschrumpelt, dunkelbraun und mit pergamentener Haut.
    »Lieber Gott!« schrie ich laut und bekreuzigte mich.
    »Zu spät«, hörte ich die einschmeichelnde Stimme säuseln. Die vertrockneten, spröden Lippen bewegten sich dabei kaum. »Du hast einen Blick hineingeworfen. Jetzt gehöre ich dir.« Ein faltiges Lid hob sich, und ein Auge blickte mich lebendig an. Das abartige Ding zwinkerte, und seine Pergamentlippen schienen sich zu einem hämischen Lächeln zu verziehen. Mit einem Schrei knallte ich den Deckel zu.
    Darauf entstand ein furchtbares Getümmel, denn Gargantua tauchte auf und bellte, Diener kamen herbeigestürmt, und zuletzt ächzte Tantchen im Morgenmantel und mit Rüschenhaube, auf ihren Spazierstock gestützt, ins Zimmer.
    »Was ist denn hier los? Was hat der Tumult zu bedeuten? Hat dein Hund eine Ratte gefangen? Sibille, du bist mir doch wohl keine Zimperliese.«
    »Tantchen, Tantchen, in dem Kasten ist ein gräßlicher, vertrockneter Männerkopf.«
    »Hm«, sagte sie, »dann können wir ihn wohl doch nicht in einen Brunnen werfen. Er könnte ihn vergiften. Laß sehen. Ein Kopf per Kurier. Das könnte sehr wohl der Kopf eines vornehmen Menschen sein, den man hingerichtet hat…«
    »Und nach dem wird jetzt gewiß schon gesucht. Vielleicht von verschiedenen Interessengruppen. Derlei Sachen haben Gefühlswert«, sagte Arnaud, der Kammerdiener.
    »Dann vergraben wir ihn im Keller und werfen die Schatulle in den Brunnen«, verkündete Tantchen. Bei diesen Worten drang ein gespenstischer Aufschrei aus dem Kasten.
    »Tantchen, er ist… Er ist lebendig. Er redet gräßliche, gräßliche Sachen…«, sagte ich, und bei dem Gedanken an das lebende, hämische Auge wollte mir schier der Atem stocken. Das Ding im Kasten gab so furchtbare Laute von sich, daß sich selbst Arnaud bekreuzigte.
    »Sei still, du, ich denke nach«, sagte Tantchen und versetzte dem Kasten ein paar tüchtige Hiebe mit dem Spazierstock. Und dabei war sie so in ihre Gedanken vertieft, daß sie gar nicht merkte, wie sie den Deckel der kostbaren Metallschatulle eingebeult und zerkratzt hatte.
    »Wehe, du beschädigst meinen Kasten«, schrie das Ding darin. Und vor meinen Augen beulte sich die Delle wieder aus, die Kratzer verblaßten allmählich, und dann war die Schatulle heil wie zuvor. Tantchen schien das nicht wahrzunehmen.
    »Ein sprechender Kasten«, sagte sie. »Derlei ist Geld wert. Zweifellos sollte er als Kuriosität an den Hof geschickt werden. Kein Wunder, daß man ihn gestohlen hat. Sag an, du da drinnen, taugst du zu mehr als nur zum Schwatzen?« Darauf breitete sich Schweigen aus. Ich hatte eindeutig den Eindruck, daß das Ding im Kasten schmollte. »Heda, wach auf!« Tantchen hieb noch einige Male auf den Kasten ein. Es folgte ein leises, unheimliches Gejaule.
    Endlich sprach eine schwache, erboste Stimme. »In den ganzen siebzehn Jahrhunderten nach meiner Enthauptung ist mir noch kein so widernatürliches Frauenzimmer begegnet. Weib, du bist der Gipfel der Abscheulichkeit.«
    »Das möchte ich auch hoffen«, sagte Tantchen. »Ich habe einiges dazugelernt, seit dem Tag, da ich meinen

Weitere Kostenlose Bücher