Die geheime Mission des Nostradamus
Königsmacher, als graue Eminenz, doch er hatte Rivalen. Während sie dahinritten, zählte er sie im Kopf zusammen: Da waren zunächst die Brüder Guise, mit ihrer kleinen Nichte Maria, der Schottenkönigin. Sie konnten sich getrost zurücklehnen und warten, bis sie eines Tages die Fäden in der Hand hielten, wenn Maria den Dauphin heiraten würde. Ihn, den alten Konnetabel, würden sie dann zum alten Eisen werfen. Als nächstes kamen die Bourbonen-Brüder, Fürsten von königlichem Geblüt. Sie waren die »natürlichen« Rivalen der Guise, doch auch sie würden die Montmorency wegwischen, wenn sie an die Macht gelangten, und den Guise würde das gleiche Schicksal widerfahren.
Wie stellte man ein Gleichgewicht zwischen den rivalisierenden Familien her, ohne selbst zwischen die Fronten zu geraten? Sie waren alle schrecklich, doch auf ihre Weise: Die Guise mit ihrer kalten Brillanz und ihrem fanatischen Katholizismus; und die drei Bourbonenbrüder, unzuverlässig, wetterwendisch und zu nichts zu gebrauchen. Verdammt!
Ich muß die Heiratspläne der Guise durchkreuzen, dachte der Alte Konnetabel. Das Datum hinauszögern, dann eine Braut mit besseren Verbindungen finden, an der man einfach nicht vorbeikommt. Dabei brauche ich Verbündete. Wer könnte mich darin unterstützen? Hm, niemand anders als die Bourbonen – ein nutzloser, lästiger Haufen, aber es muß sein. Vielleicht Antoine, der älteste der Brüder, König von Navarra, aber was für ein schwafelnder Tor! Der jeweils neuesten Mätresse hündisch ergeben. Der einzige Mann in der Familie ist seine Frau. Für einen Augenblick sah er Antoines nüchterne protestantische Frau vor sich. Jeanne d'Albret, die Tochter von König Franz' kluger Schwester. Also, wenn ich mich mit der verbünden könnte… Ich muß diesen Nostradamus dazu bringen, mir zu verraten, wie alles ausgeht, dachte er. Dann kann ich entsprechende Vorkehrungen treffen. Mit einem Sitz wie ein Eisenpfeiler, mit ungerührter Miene und mit Träumen, die man ihm nicht ansah, ritt er auf seinem grauen Zuchthengst dahin und starrte geradeaus. Wer den alten Krieger sah, konnte denken, er weile in Gedanken auf dem Schlachtfeld.
»Maistre Nostredame«, sagte der Großkonnetabel von Frankreich und beugte sich großmütig von seinem prächtigen Hengst zu dem alten Mann hinab, der auf einer kleineren Stute neben ihm ritt, »die Königin ist von Eurem Werk Centuries sehr angetan. Sagt mir, warum schreibt Ihr so kryptisch? Es gibt viel Streit um die Auslegung.«
»Sieur Konnetabel, wollt Ihr damit sagen, die Menschen denken, ich verberge mein Nichtwissen hinter einer schwierigen Sprache? Sollen sie getrost so denken. Die Visionen, die mir gewählt wurden, sind nicht für Ignoranten gedacht. Dumme Menschen machen schlechten Gebrauch von allem, auch vom Wissen um die Zukunft.«
Als sie aus dem Stadttor und über die Brücke in die staubiggoldene Landschaft klapperten, antwortete der Konnetabel: »Nun – ich glaube gewißlich an Eure Gabe. Ja, wirklich. Aber warum eine so wirre Darlegung? Damit habe ich große Schwierigkeiten. Wenn ich doch nur das Datum wüßte…« Eine gackernde Hühnerschar stob vor den Pferdchen auseinander.
Nostradamus rutschte im Sattel hin und her und versuchte, eine bequemere Haltung für sein schmerzendes Rückgrat zu finden, dann sprach er etwas gereizt und wiederum in Rätseln: »Das Geschriebene ist so, wie es der Geist diktiert. Ich selbst habe damit nichts zu tun.« Oder mit seiner gräßlichen Hauswirtschaft, setzte er in Gedanken hinzu. Das muß ausgerechnet mir passieren, daß ich Verbindung mit einem Geist aufnehme, der nicht Ordnung halten kann. Als er bemerkte, wie der Konnetabel erschauerte, fügte er eilig hinzu: »Die Sterne formen das Schicksal, aber sie beherrschen es nicht. Wenn ich die Visionen in schlichter Sprache und mit Datum versehen aufschreiben wollte, dann würde sich niemand mehr um Veränderungen bemühen, und die Menschheit würde unter einem eisernen Joch zermalmt, das noch schrecklicher wäre als die Herrschaft des Antichrist! Es ist Gottes Wille, daß nur diejenigen, die das begreifen, Entscheidungen treffen, mit Hilfe derer sie der Verkettung der Geschichte entrinnen.« Da, das sollte dir reichlich zu denken geben, sinnierte Nostradamus, denn er spürte, daß hier jemand auf eine kostenlose Zukunftsdeutung aus war.
»Begreifen, ja, das sehe ich ein«, murmelte der Alte Konnetabel, denn er wollte zu den Auserwählten gehören und nicht zu den Dummen,
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