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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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die alles erklärt haben wollten, weil sie nicht imstande waren, ihr Schicksal zu meistern. Nostradamus ritt schweigend dahin und war es zufrieden. Schließlich war er der Inquisition in all den Jahren nicht nur durch Glück durchs Netz gegangen, und er freute sich immer wieder, wenn eine Gedankenkette aus seinem philosophischen Schatz genau die gewünschte Reaktion auslöste. Der alte Marschall würde die Kunde bei Hofe verbreiten, und sie würde das Leben des Propheten um einiges erleichtern.
    Als sie die Freitreppe im cour d'honneur von St. Germainen-Laye erreichten, war der alte Arzt dankbar für die bewaffnete Eskorte. Eine Menge umdrängte ihn, die mehr und mehr anschwoll und immer lauter wurde, während er zum Empfangsraum der Königin ging. »Nostredame, Nostredame!« wurde gerufen, und man stieß ihn und warf ihn beinahe um. »Er ist da! Der Mann, der die Zukunft kennt! Die Königin höchstpersönlich hat nach ihm geschickt.« Frauen wollten ihn berühren, und Fremde zupften an seiner Kleidung. Verzweifelte Menschen riefen ihm Fragen nach abhanden gekommenen Liebhabern und Söhnen zu, Spaßvögel stießen an seinen Spazierstock und feuerten witzig gemeinte Fragen auf ihn ab. Soldaten, Pagen, Diener, aristokratische Müßiggänger, alles drängelte sich in den Fluren, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.
    »Fort, fort alle miteinander!« brüllte der Alte Konnetabel. »Macht Platz für den Astrologen der Königin.« Hinten in der Menge stand ein dunkelhaariger, italienisch aussehender Kerl, bärtig und in Schwarz gekleidet, der böse vor sich hin brummelte. Warum macht jeder so ein Theater um den Menschen, nur weil er ein Buch veröffentlicht hat, dachte Cosmo Ruggieri. Es ist so gewöhnlich und zeugt von einem niederen Instinkt, wenn man derart nach dem Lob der Masse giert. Meine Gedanken sind viel zu feinsinnig, als daß man sie in so etwas Vulgäres wie Schrift setzen könnte. Man muß schon Urteilsvermögen haben, wenn man meine Weisheiten verstehen will. Man sollte meinen, dieses elende Weib wüßte meine langjährigen Dienste und meine Brillanz zu schätzen. Man sehe sich nur diese Idioten an, wie sie um die Aufmerksamkeit dieses Nostradamus buhlen. Der Mann ist doch ein Nichts. Ein Betrüger, und niemand außer mir durchschaut ihn. Ich aber habe der Menschheit gegenüber eine Pflicht…
    Nostradamus spürte in der Menge eine Aura von blankem Haß, doch als er aufblickte und die Quelle ausfindig machen wollte, war sie verschwunden. Cosmo Ruggieri war nach Hause gegangen, um den alten Arzt mit einem Todeszauber zu belegen.

    Die Aura der Königin war auf eine Art verschlagen und schwammig, wie sie Michel de Nostredame auf seinen Reisen schon häufig bei den Fürsten dieser Welt angetroffen hatte. Ungewöhnlich war nicht das honigsüße Lächeln, unter dem sie ihre Berechnung verbarg, auch nicht die Fülle der kleinlichen Spitzen, mit denen sie ihre schwache Stellung an einem Hof absicherte, an dem bei Frauen nur Schönheit zählte. Was von ihrer Aura hochloderte, war Wille, blanker Wille, angefeuert und angeheizt von der leuchtenden Flamme des Hasses und sorgsam unter einem Schleier der Vorsicht versteckt.
    »Ich sehe ein langes Leben«, sagte Nostradamus, nachdem er ihre Handlinien, die Sommersprossen auf ihren Unterarmen und die Züge ihres zu einem freundlichen Lächeln angespannten Gesichts gemustert hatte.
    »Und mein Gemahl, der König…« Die Königin, die von den dunklen, durchdringenden Augen und der ruhigen, selbstsicheren Art des alten Arztes fasziniert war, zögerte, ihm die wesentliche Frage zu stellen, also verlegte sie sich auf die naheliegende. »Sein Leben… geht es bei der Weissagung in Eurem Buch um ihn?«
    Nostradamus antwortete ausnehmend vorsichtig und taktvoll. »Der König, Euer Gemahl, wird neunundsechzig Jahre alt und als der größte Herrscher seit Caesar in die Geschichte eingehen. Er muß allerdings eine Vorsichtsmaßnahme einhalten: Er darf sich nie mit einem Mann duellieren, der einen Löwen im Wappen führt.«
    »Aber der König ist nicht wie andere Menschen; man kann ihn nicht zum Duell fordern…« Mit einem Blick hatte Nostradamus die kabbalistischen Ringe, die Kette mit einem verborgenen Medaillon und Dutzende weiterer Anzeichen bemerkt, die von der Überzeugung der Königin sprachen, sie könne den dunklen Mächten gebieten.
    »Bei Euren Gaben«, lenkte er ein, »werdet Ihr wissen, wann es soweit ist. Es liegt an Euch, ihm das auszureden. Damit werdet Ihr das

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