Die geheime Mission des Nostradamus
nicht wie ein Diener wegschicken.« Seine Hand legte sich auf den Griff seines Schwertes.
»Krümmt ein Härchen auf meinem Kopf, und Ihr müßt Euch vor dem König von Frankreich verantworten«, erwiderte Nostradamus, ohne die Stimme zu erheben. »Außerdem werdet Ihr den Besitz Eures Onkels nicht erben, denn der wird Euch überleben. Seid Ihr nicht gekommen, um das herauszufinden? Jetzt wißt Ihr Bescheid. Und laßt Euch noch etwas gesagt sein: Ihr werdet Euer dreizehntes Duell verlieren.« Der dunkelhaarige Mann erblaßte, seine Hand sank vom Schwertgriff.
»Glaub ihm kein Wort, Philippe…«, beschwichtigte sein blonder Freund.
»Das tue ich auch nicht. Annibal, es ist ohnedies besser, tapfer auf dem Schlachtfeld zu fallen, als alt und verschrumpelt zu sterben.«
Während die beiden aus dem Zimmer stolzierten, rief der alte Weissager hinter ihnen: »Das habe ich nicht gesagt.« Doch nur Annibal hörte es.
Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, stand Nostradamus auf und verriegelte sie, damit nicht noch weitere Bittsteller hereinkämen. Genug der armen Teufel, dachte er. Ich bin nicht meiner Gesundheit wegen in Paris, aber bis ich die Königin gesehen habe, fehlt es mir an Bargeld. Er kramte die Geldschatulle hervor, legte sein letztes Honorar hinein und fragte sich, wo sein Essen geblieben sei. Doch als er sah, daß Léon es über einer Kerzenflamme aufwärmte, war er zufrieden. Er füllte seinen Becher mit dem wirklich ausgezeichneten Rotwein, ließ ihn einen Moment darin kreisen und genoß den Vorgeschmack. Eines der größten Geheimnisse, das er auf seinen Reisen entdeckt hatte und an dessen Vervollkommnung er noch immer arbeitete, lautete: den Augenblick an sich genießen. Vor allem, wenn es sich bei dem Augenblick um das Abendessen handelt.
»Das ist nicht gerecht, das ist einfach nicht gerecht!« Laurette weinte so heftig, daß sie fast erstickte. Dann warf sie sich bebend vor Wut und Gram aufs Bett. Ihre kleinen Schwestern standen starr und still vor Staunen über diesen Vulkanausbruch an Gefühl um das große, durchhängende Himmelbett herum. Laurettes Wehgeschrei hallte durch die oberen Räume und lockte neugierige Dienstmägde und schließlich ihre Mutter herbei, die mit aufgekrempelten Ärmeln und einer großen weißen Schürze über dem wollenen Tageskleid geradewegs aus der Küche kam.
»Laurette, Laurette…«
»Geht weg. Das versteht Ihr einfach nicht. Ihr könnt es nicht verstehen!«
»Ich verstehe mehr, als du denkst«, sagte ihre Mutter.
»Sie hat ihn mir gestohlen. Sie hat mir meinen Philippe weggenommen. Dabei hat er mich gemocht! Sie ist häßlich! Und eingebildet! Sie bekommt alles!«
Madame de la Roque bemerkte ein zerknülltes Blatt Papier auf dem gefliesten Fußboden, bückte sich und hob es auf. Sie glättete es und sagte: »Annibals Brief war an die ganze Familie gerichtet, Laurette. Du hast kein Recht, ihn wegzunehmen und so zu zerknüllen. Ich bewahre alle seine Briefe in meiner Truhe auf, und diesen hast du ruiniert.«
»Er sollte verbrannt werden«, kreischte Laurette, die die Ellenbogen in die Kissen stemmte und ihre Mutter trotzig anblickte.
»Darin schreibt er nur Artigkeiten und erzählt von seinen Erfolgen. Seine Briefe sind eines Tages ein Familienschatz. Welches Recht hast du, mich und unsere Nachkommen dieser Freude zu berauben?«
»Die Kinder von Sibille und Philippe berauben, meint Ihr! Mein Philippe. Ich hätte Madame d'Estouville werden sollen! Habt Ihr denn den Teil nicht gelesen, wo er schreibt, daß M. d'Estouville derzeit großes Vergnügen an Sibilles Unterhaltung findet? Welch vorteilhafte Verbindung es für unsere Familie wäre, wenn…?«
»Laurette, mein liebes Kind. Ein Blick, selbst ein Liebäugeln, ist noch lange kein Eheversprechen. Eine familiäre Verbindung dieser Art gründet sich nicht nur auf einen Stammbaum, sondern auch auf eine Mitgift. Ich könnte mir denken, daß deine Tante hat verlauten lassen, sie würde sich großzügig…«
»Sie ist auch meine Tante. Sibille hat schon einen Weinberg. Die Mitgift hätte ich bekommen sollen. Tante Pauline hätte sie mir vermacht, wenn Sibille nicht zu ihr gegangen wäre wie eine Bettlerin. Warum habt Ihr nicht mich zu ihr gesandt? Ich würde es viel mehr verdienen, reich zu sein!«
»Laurette, mein Liebling, du weißt doch warum…«
»Ich weiß, daß Sibille einen Ehemann hatte und daß sie ihn erschossen hat, weil sie Philippe für sich wollte. Aber Philippe liebt mich, das weiß
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