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Die geheime Mission des Nostradamus

Titel: Die geheime Mission des Nostradamus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle Riley
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sondern Mitgefühl. Darauf seid Ihr stolz, nicht wahr?« Ich nickte stumm. »Dann ist das der Weg, auf dem es Euch in Versuchung führen kann. Wenn Ihr Mitleid empfindet, für ihn oder jemand anders, bietet es Euch einen Handel an, dem Ihr einfach nicht widerstehen könnt. Ein kleiner Wunsch, der bestgemeinte Wunsch der Welt, und die Pforten der Hölle öffnen sich. Ihr werdet qualvoll hinuntergezogen, und alles durch eigene Schuld. Nach all diesen Jahrhunderten, in denen es die Habgierigen und Rachedurstigen befriedigt hat, wird ihm diese Variante gewiß zusagen.«
    »Halt den Mund, Michel«, murrte es aus dem Kasten.
    »Aber – aber ich kann nicht anders. Ich bin einfach von Natur aus zartbesaitet. Meine poetische Ader, müßt Ihr wissen…« Das Ding gab ein höhnisches Kichern von sich. Der alte Nostradamus schüttelte den Kopf.
    »Verhärtet Euer Herz«, sagte er.
    »Aber wie werden wir es los?« fragte Tante Pauline.
    »Ihr könntet versuchen, es zu verschenken. Vorzugsweise an jemanden, den Ihr nicht mögt und der eine lange Seereise machen will. Ihr habt ja gesehen, wie es verblaßt und Euch dann nachfolgt. Niemand weiß, wie weit es auf sich allein gestellt reisen kann…« Nostradamus schwieg und seufzte. »Allerdings habe ich noch nie gehört, daß es jemandem gelungen wäre, es zu verschenken. Es verführt seine Besitzer wie ein Liebender; sie können der Macht nicht widerstehen, die es anbietet. Doch bislang habt Ihr widerstanden. Gebt es weg, bringt einen anderen Menschen dazu, ihm ins Gesicht zu blicken, und vielleicht werdet Ihr es nie mehr wiedersehen. Das ist mein einziger Vorschlag.«
    Ein abgründiger Seufzer schüttelte Tante Paulines üppige Gestalt. »Wer, wenn er noch bei Sinnen ist, möchte einen verfluchten, mumifizierten Kopf in einem Kasten haben?« fragte sie.
    »Ihr würdet Euch wundern«, sagte der Kopf.
    »Leon, hol mir meine Hausschuhe. Dank der Bemühungen dieser guten Frau fühle ich mich schon viel besser und würde meine Gäste gern zur Tür geleiten«, sagte der alte Prophet.
    »O nein«, rief Leon, als er unter dem Bett suchte. »Da seht…« Und er hielt mit dramatischer Gebärde eine gut durchgekaute Sohle in die Höhe.
    »Mademoiselle, Euer Hund hat meine Hausschuhe gefressen.« Nostradamus' Gesicht war eine gewisse Gereiztheit anzumerken, während er die traurigen Reste begutachtete. Gargantua, der wie alle Hunde genau spürte, daß die Rede von ihm war, blickte zufrieden, rollte sich auf den Rücken und schnaufte, was soviel bedeutete wie, daß er gekrault werden wollte. Ganz in Gedanken kraulte ich ihm den gefleckten Bauch, hielt aber jäh inne, als ich Nostradamus' warnenden Blick bemerkte.
    »Wir machen uns sofort auf den Weg und besorgen Euch ein neues Paar. Sibille, ob wir nach diesem netten Mann im Schusterladen schicken, damit er bei Doktor Nostradamus Maß nimmt? Nein, das dauert zu lange. Wir brauchen gefertigte… Hm, ich erinnere mich, daß wir einen Laden gesehen haben, in dem Saffianleder sehr günstig angeboten…«
    »Keine Stickereien«, wehrte der Prophet ab. »Ich bin ein einfacher Mann von schlichtem Geschmack.«

Kapitel 13
    C osmo Ruggieri hatte sich, um sich zu verkleiden, von seinem jüngeren Bruder ein mit Farbe bekleckertes braunes Lederwams mit abgewetzten Ärmeln ausgeborgt und sich auf den Weg zum Hostel de Sens gemacht, weil er mit eigenen Augen sehen wollte, was mit seinem Todeszauber schiefgelaufen war. Doch am Haupteingang zur Residenz wurde er von einer Menschenmenge fast zu Tode gequetscht, die lauthals forderte, Nostradamus zu sehen und sich die Zukunft weissagen zu lassen.
    »Für heute ist Schluß«, schrie der Wachposten. »Er muß sich erholen.«
    »Sagt ihm, daß Madame de Bellièvre ihr Horoskop wünscht.«
    Ein Page drängte sich staubbedeckt und ganz außer Atem durch die Menge am Tor. »Laßt mich auf der Stelle ein, ich bin ein Page des Königs.«
    »Ich habe einen Termin«, behauptete Ruggieri in der Hoffnung, sich dem Pagen des Königs anschließen zu können.
    »Für heute hat er keine Besprechungen mehr angesetzt.« Danke lieber Gott für die alten Kleider meines Bruders, dachte Ruggieri. »Bei meinem Termin geht es nicht um ein Horoskop«, erläuterte der verschlagene Zauberer, »sondern um sein Porträt im Auftrag der Königin.« Der Wachposten warf einen Blick auf das fleckige Wams, die zerrupften Federn auf dem billigen, farbenprächtigen Hut und den abgetragenen Umhang aus umgearbeiteter grüner Wolle. Tatsächlich

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