Die geheime Mission des Nostradamus
springst aus dem Fenster.« Mein Herz fing an zu hämmern. Was hatte Menander jetzt wieder vor?
»Es wäre besser, wenn ich einer großen Königin dienen könnte. Wieviel mehr Spielraum hätte ich, wieviel mehr Seelen könnte ich gewinnen. Wieso solltest du, ein Niemand, eine häßliche alte Jungfer, einen Schatz wie mich besitzen? Du bist ein wertloses Nichts, und deine Gedichte sind abscheulich, eine Lachnummer. Niemand mag sie. Steh auf und geh zum Fenster.« Trotz meines Entsetzens blieb ich fest. Es war, als ob ich in der Finsternis irgendwie neben mir stand, mir zusah und zu mir selbst sagte, Menander kann dich nicht dazu bringen, daß du dich tot wünschst, also möchte er dich in den Selbstmord treiben. Er sieht, wieviel mehr Böses er tun könnte, wenn er der Königin gehörte. Ich höre nicht auf dich, du vertrockneter Schädel in einer Schachtel, sagte ich im Geist zu ihm.
Oh, aber du mußt, sagte die heimliche Stimme des Magus.
Du willst mich nicht loslassen, also lasse ich dich auch nicht los.
Menander, du bist nichts weiter als ein billiger Emporkömmling.
Falls ich deine Seele so nicht haben kann, dann auf anderem Weg. Steh auf und geh zum Fenster.
Und das tue ich nicht, antwortete ich ihm, während ich mir die Fäuste an die Augen hielt, aus denen die Tränen rannen. Im Geiste sang ich Marots Psalmen lauter und immer lauter. Bei den heiligen Worten, die sich in meinem Kopf formten, konnte ich ihn aufkreischen hören, dann schwieg er. Draußen, in der wirklichen Welt, atmeten meine beiden Bettgenossinnen stetig wie zuvor. Wie lange rangen wir wohl miteinander, bis ich erschöpft einschlief? Minuten? Stunden? Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Und ich wußte, daß meine Nächte jetzt voller Kampf und Entsetzen sein würden, bis entweder ich oder Menander der Unsterbliche aufgegeben hätte. Nostradamus, sagte ich bei mir. Du mußt Nostradamus wieder aufsuchen. Er weiß die Antwort.
Am nächsten Morgen schickte die Königin beim lever ihren Flötenspieler fort, statt dessen ließ sie sich von Madame Gondi einen ungewöhnlichen Dialog über die Tugend aus einem schmalen Bändchen vorlesen, das fachmännisch auf Pergament kopiert und sehr hübsch in geprägtes Saffianleder gebunden war.
»Klug, diese Bemerkung, die Demoiselle de la Roque Athene in den Mund legt«, bemerkte die Königin, während sich ihre Zofe mit ihren kunstvollen Locken beschäftigte. »Lest das noch einmal, diesen Teil über die Heiligkeit der Ehe, wo Hera spricht. Es liegt soviel Gefühl darin.« Die Königin war an diesem Morgen ungewöhnlich ruhig und friedfertig, doch sie spürte, daß Madame Gondis Hand beim Zurückblättern zitterte. Die ist eben auch keine Königin, dachte Katharina von Medici. Zu schwache Nerven. Leute mit schwachen Nerven haben schon Königreiche eingebüßt, und hinterher schlachtet der siegreiche Fürst die Thronerben ab. Das habe ich in Florenz gelernt, als die Feinde meiner Familie versuchten, mich als Kanonenfutter an die Stadtmauer zu hängen. Selbst Machiavelli, der auch für meinen Vater geschrieben hat, was weiß der schon von diesen Wahrheiten? Er kratzt mit seinem Federkiel und begreift nur mit dem Kopf, aber ich, ich weiß diese Dinge im Herzen.
»… Und aus diesem Grund ist die Ehe als heiliges Sakrament eingesetzt…« Die Königin blickte um sich auf das reichgeschmückte Gemach und die katzbuckelnden Hofdamen, die ihre Herzen verborgen hielten und ihre Blicke verschleierten. Jede von ihnen kann aus dem Hinterhalt zuschlagen. Als Königin ist man anders als andere Menschen: Man spielt um einen höheren Einsatz.
»… Und so wie aus Zuneigung geborene Kinder schöner sind, so sind aus ehelicher Zuneigung geborene diesen noch überlegen…« Madame Gondi las mit etwas zittriger Stimme. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihr Teint war geisterblaß. Sie hatte Alpträume von dem sprechenden mumifizierten Kopf gehabt.
»Haltet ein wenig inne, ist das die Stelle, wo Hera Aphrodite zurechtweist?«
»Nein… nein, die kommt später, wo der Erzengel die wahre christliche Ehe erläutert…«
»Das sind elegante Gefühle… es ist mir keineswegs peinlich, daß sie dieses kleine Werk mir gewidmet hat. Ich möchte im ersten Abdruck als Schirmherrin stehen. Vielleicht sollte ich andeuten, daß ich an einem meiner Nachmittage eine Lesung abhalte. Das dürfte die Ergebenheit und Treue der Demoiselle meiner Person gegenüber verdoppeln, meint Ihr nicht auch? Aber was fehlt Euch? Habt Ihr etwa
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