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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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darauf achten musste, auf der Leeseite zu stehen … aber er zog es ohnehin vor, den Eimer unter Deck zu benutzen. Er lernte und lernte und lernte. Und die Sonne brannte heiß auf sie herunter, und José zog sein Hemd aus und legte es auf seinen Kopf, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Jonathan benutzte dazu lieber die alte Schiebermütze.
    »Wenn ich anfange, mich auszuziehen, verbrenne ich sofort«, sagte er.
    »Ja«, sagte José und lachte, »da hast du wohl recht. Blass wie der Vollmond bist du, blass wie ein Schluck Milch.«
    Sie teilten das Wasser in kleine Rationen ein. Der Regen blieb aus. Nur Suppen in Dosen hatten sie genug, und José sagte, sie könnten wohl mitten auf dem Pazifik ein Restaurant eröffnen, dessen Spezialität Krabbensuppe wäre.
    »Ja«, sagte Jonathan. »Und dahinten kommen die ersten Kunden.«
    An der Horizontlinie hingen jetzt zwei Schiffe fest. Er war sich ziemlich sicher, dass das größere grau war. Die Roosevelt. Das Merkwürdige war, dass die Schiffe nicht näher kamen. Sie folgten der Mariposa wie zwei überdimensionale Privatdetektive, die ab und zu stehen blieben, um unauffällig in ein Schaufenster zu sehen. Nur dass sie nicht unauffällig waren. Auf dem Pazifik, dachte Jonathan, herrschte ein bedenklicher Mangel an Schaufenstern.
    »Sie steuern einfach den gleichen Kurs«, sagte José. »Zufällig.«
    »Ganz zufällig«, murmelte Jonathan.
    Am dritten Tag seit ihrem Aufbruch von Santiago saß Jonathan am Bug und nahm unter Oskars hungrigen Blicken einen Fisch aus – auch das hatte er gelernt –, als etwas aus dem Himmel stürzte. Oskar stieß einen erschrockenen Laut aus und Jonathan duckte sich, dann taumelte das Etwas dicht über sie hinweg und stolperte in einem Wirrwarr aus weißen und dunklen Federn über das Deck.
    »Was ist das?«, rief José vom Heck aus beunruhigt.
    Das Etwas schüttelte sich. Es war ein Vogel. Ein riesiger weißer Vogel mit einem langen gelben Schnabel. Er stand auf großen grauen Füßen und sah sich um, als suchte er etwas.
    »Oje«, sagte Jonathan. »Ein Albatros. Hör mal, Albatros, du bist hier falsch. Noch mehr Leute können wir nicht mit Suppe füttern.«
    »Das ist ein Albatros?«, fragte José. »Ich habe noch nie einen gesehen. Es heißt, sie brüten auf Española, einer der südlichen Inseln. Ich glaube, sie fliegen zu Beginn der Regenzeit nach Ecuador. Meinst du, dieser hier hat sich verflogen?«
    »Nein«, sagte Jonathan. »Er hat sich verlandet.«
    Der Albatros watschelte über das Deck und schien die Mariposa zu begutachten. Er ging um die Kajüte herum und zuckte zurück, als er dort einen Flamingo vorfand, in dessen Rückengefieder sich eine Ratte zu einem Nickerchen zusammengerollt hatte. Schließlich setzte er sich ordentlich auf eine der Bänke und steckte den Schnabel unter einen Flügel.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte Jonathan. »Er ruht sich bloß ein wenig aus. Wenn er wieder aufwacht, fliegt er weiter zum Festland, nach Ecuador.«
    José nickte, und Jonathan wollte den Fisch weiter ausnehmen, aber da war kein Fisch mehr. Oskar machte ein sattes und sehr scheinheiliges Gesicht. Jonathan seufzte. Schließlich lag ein zweiter Fisch ausgenommen in der Pfanne.
    »Lange reicht das Gas nicht mehr«, sagte José. »Demnächst haben wir die Wahl zwischen rohem Fisch und kalter Dosensuppe.«
    In diesem Moment erwachte der Albatros. Er reckte den Kopf, kam etwas unsicher auf die Beine und trippelte auf der Bank nach vorn, um den Fisch zu begutachten, der in kleinen Stückchen in der Pfanne briet, da er im Ganzen nicht hineingepasst hatte. Eine Weile schien der Albatros zu überlegen, dann schnellte sein Schnabel vor – er schnappte sich ein Stück Fisch aus der Pfanne und verschlang es, schnappte das nächste, das übernächste – und hinterließ die Pfanne leer.
    »Hey!«, rief Jonathan, viel zu spät.
    »Verfluchtes Mistvieh!«, schrie José. Der Albatros brauchte zwei Anläufe, um auf das Kajütendach zu fliehen. Sein Körper war einfach zu massig für elegant dahingeflatterte Hüpfer.
    »Mach, dass du hier wegkommst!«, rief José. »Sonst gibt es zum Abendessen Albatrosflügel!«
    Der Albatros breitete die langen, schmalen Flügel aus …
    »Er nimmt Anlauf!«, flüsterte Jonathan. »Gleich fliegt er los. Sie brauchen etwas wie eine Klippe zum Losfliegen, oder starken Aufwind. Meine Mutter hat uns das vorgelesen.«
    Da hielt der Albatros an, drehte sich um und legte den Kopf schief. Er sah auf einmal besorgt aus – ganz so,

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