Die geheime Stunde
näher am Apparat war, ging er ran.
»Hallo?«
»Johnny, ich bin’s, Sally.«
»Hallo, Sal. Wie geht’s?«
»Super. Einfach Klasse. Mir ist ein Immobiliengeschäft durch die Lappen gegangen – ich habe gerade erfahren, dass der Kunde es vorgezogen hat, etwas in Black Hall zu kaufen. Da hab ich mir gesagt: ›Sally, du brauchst einen Drink und einen guten alten Freund, der dir Gesellschaft leistet.‹ Mein neuer Freund scheint heute Abend wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Natürlich habe ich sofort an dich gedacht.«
»Tut mir Leid, Sally. Ich koche gerade für die Kinder, und anschließend steht eine Telefonkonferenz auf dem Programm. Vielleicht ein anderes Mal.«
»Schade«, sagte sie grollend. »Ich hätte dich beinahe nicht gefunden … wenn Teddy Bert nicht erzählt hätte, dass du vorübergehend bei deinem Vater wohnst. Aber da Maggie gerade mit ihrem Fahrrad den Weg entlangfuhr …«
»Den Weg? Du meinst, den Weg zu meinem Haus?« John eilte zum Fenster, spähte hinaus.
»Ja. Vielleicht hat sie die Abkürzung durch das Naturschutzgebiet genommen, oder die Straße vom Leuchtturm. Ich bin mir nicht sicher. Aber ich dachte, du würdest es gerne wissen. Wenn sie meine Tochter wäre, sähe ich es jedenfalls nicht gerne, dass sie bei Einbruch der Dunkelheit noch mit dem Rad unterwegs ist … Ich weiß, Theresa würde wollen, dass ich dir Bescheid sage …«
»Danke, Sal.« John legte auf und kehrte zum Fenster zurück. Die Schatten, die über die Straße und den Garten fielen, wurden länger. Die Straßenlaternen gingen an, zuerst flackernd wie Kerzenlicht, dann stetig und hell. Die Dämmerung senkte sich herab, und Maggie war noch nicht zu Hause; sein Herz klopfte schneller.
Er presste die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. Er sah die Straße hinunter, in die Richtung, aus der sie vermutlich kommen würde. Beinahe unbewusst griff er nach seinen Autoschlüsseln. Er hatte ein ungutes Gefühl, und seine Hand lag bereits auf der Klinke der Küchentür, als er Räder auf dem Kies vor dem Haus knirschen hörte.
»Ich bin wieder da!«, rief sie, zur Vordertür hereinkommend.
Teddy blickte lächelnd hoch, als sie den Raum betrat. John lehnte sich gegen die Tür, froh, dass sie nicht sehen konnte, wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte.
»Hallo, Dad.« Ihre Wangen und ihre Nase waren feuerrot, als sie durch die Küche wirbelte und ihm einen Kuss gab.
»Hallo, Mags.«
Bei seinem Tonfall – der sich seiner Kontrolle entzog, denn selbst in seinen eigenen Ohren klang er kalt und zornig – sah sie ihn stirnrunzelnd an. Sie schob die Hände in die Taschen.
»Was ist denn?«, fragte sie.
»Warst du gerade in unserem Haus?«
Ihre Kinnlade klappte herunter, und er sah, wie sie erschrak, weil er sie ertappt hatte.
»Du warst in unserem Haus! Stimmt’s?«
Sie nickte, starrte ihn an. »Nicht direkt. Aber im Naturschutzgebiet, auf den Feldwegen …«
»Maggie!«, explodierte er. »Was habe ich dir gesagt? Hast du die Lambert Road mit dem Fahrrad überquert?«
»Ja, Dad, aber …«
»Kein Aber! Du hättest beim Überqueren der Fahrbahn von einem Laster erfasst werden und tot sein können – weißt du, wie schnell sie dort fahren? Und die Straße verläuft direkt unter der I-95 …« Er biss sich auf die Zunge, wandte sich ab.
Die Interstate war ein Tummelplatz für zwielichtige Gestalten aller Art. Drogenhändler aus Florida, Lkw-Fahrer, die im Auftrag von Firmen Schmuggelware in ihren riesigen Lastern transportierten, Pädophile, die ahnungslosen Kindern auflauerten … etliche Mandanten hatten die I-95 in ihren Geschichten erwähnt; die Schnellstraße war wie ein heimlicher Komplize, die Straftaten begünstigte und deckte.
»Es tut mir Leid, Dad!«
»Damit ist es nicht getan. Du hast Hausarrest.«
»Daddy!«
»Dad – sie hat sich doch nichts Böses dabei gedacht«, eilte Teddy seiner Schwester zur Hilfe. »Wir vermissen beide unser Haus, den Strand … ich war auch schon ein paar Mal dort.«
»Möchtest du ebenfalls Hausarrest haben? Dann mach nur so weiter.« Johns Kopf schmerzte. Die Kinder fühlten sich zu ihren eigenen vier Wänden hingezogen – ebenfalls eine Art von Drang, der jedoch nicht besonders rätselhaft war. Die Agentur hatte sich nicht mehr gemeldet, und John hatte die Suche nach einem Kindermädchen schleifen lassen. Es war einfacher und sicherer, fürs Erste bei seinem Vater und Maeve zu wohnen – in einer Großfamilie. Er dachte an Theresa und verspürte
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