Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
nach dem Felsen, über den sie gestolpert war. Was sie fand, war zu glatt und zu ebenmäßig, um ein Felsen zu sein – es war eine runde Metallkugel, die auf einem Stapel ähnlicher Kugeln lag.
    Die Metallkugel anzuheben kostete sie alle Kraft, über die sie verfügte. Sie war so schwer, dass sie ihr gleich wieder aus den Händen glitt und ins Wasser klatschte.
    Kanonenkugeln.
    Offenbar war sie durch eine Falltür in einen Schacht hinuntergestürzt, der zu einem uralten Munitionslager geführt hatte. Von der Sorte gab es Hunderte an der Atlantikküste, vor allem in den dreizehn ursprünglichen nordamerikanischen Kolonien: Während des Unabhängigkeitskrieges waren hohe Steilufer, Klippen und das Gelände, das sich rund um den Leuchtturm erstreckte, strategisch wichtige Kriegsschauplätze gewesen. Matt, Willa und sie hatten ein ähnliches Waffendepot in Chincoteague entdeckt, wo die Dünen nicht ganz so hoch waren, aber der Blick aufs Meer nichts zu wünschen übrig ließ. Vielleicht war der Leuchtturm um diese Zeit erbaut worden; in der Hoffnung, Schutz und Trutz miteinander zu verbinden, waren die Siedler zu allem bereit gewesen.
    Aufgeregt streckte sie die Hände nach oben, versuchte, die Tür aufzustemmen.
    Die Tür bewegte sich nicht. Kates Finger waren blutig und voller Splitter, als sie begann, dagegen zu hämmern. Sie konnte die Stimme nicht mehr hören, diese raunende, geisterhafte Stimme. Doch gerade das flößte ihr Hoffnung ein – denn wenn sie ein Produkt ihrer Fantasie gewesen wäre, hätte sie sich eingebildet, sie auch von hier unten zu hören. Doch was war, wenn es ihr nicht gelang, aus dem Schacht heraus- und zum Leuchtturm zu gelangen?
    Plötzlich fiel es ihr wieder ein: Maggies Messer.
    Sie griff in ihre Tasche, zog es heraus. Es entglitt ihren Händen, die vor Kälte und Anspannung zitterten, landete im Wasser; sie hörte es klirren und über den Boden schlittern, musste herumtasten, bevor sie es mit eisigen Fingern herausfischte.
    Sie schob die Klinge in den Spalt zwischen Tür und Steinmauer. »O Gott, bitte, bitte mach, dass es klappt …«
    Der verrostete Schnäpper sprang auf.
    Sich mit aller Kraft gegen das Holz stemmend, gelang es Kate, die knarzende Tür Stück für Stück zu öffnen. Sie hievte und zog sich die Steinwand hinauf, schob sich durch die Öffnung. Sich die Seite an den rauen Kanten aufscheuernd, kletterte sie weiter, hielt immer wieder inne, um Atem zu schöpfen, wartete darauf, dass sich ihre Augen an die neue Dunkelheit gewöhnten.
    Nirgendwo schien es Licht zu geben. Sie ließ sich auf alle viere nieder, tastete in sämtliche Richtungen. Der Raum, in dem sie sich befand, war eng; während sie mit den Händen von einer Seite zur anderen tastete, zentimeterweise vorwärts kroch, wurde ihr bewusst, dass sie sich in einem nicht einmal zwei Meter breiten Tunnel befand. Ein ekelhafter Modergeruch schlug ihr entgegen, wurde stärker, je weiter sie sich vom Eingang des Brunnens entfernte, und sie hatte das Gefühl zu ersticken.
    Ihr Herz hämmerte. Sie befand sich allem Anschein nach in einem geheimen Zugang zum Leuchtturm und betete inbrünstig, dass Willa ebenfalls hier war. Sie musste ihre Schwester finden, aber sie hatte jegliche Orientierung verloren, wusste nicht mehr, ob sie sich der Stelle, an der sie Willas Stimme zu hören geglaubt hatte, näherte oder sich von ihr entfernte.
    Im Tunnel herrschte undurchdringliche Finsternis. Als sie blindlings vorwärts kroch, prallte sie gegen eine weitere Steinmauer. Sie war am Ende des Geheimgangs angelangt. Sich den Weg ertastend, entdeckte sie eine schmiedeeiserne Treppe zu ihrer Rechten. Sie ergriff den Handlauf und begann mit dem Aufstieg, doch als sie den Fuß auf die erste Sprosse setzte, brach sie durch.
    Ihre zerrissenen Jeans und das blutende Schienbein ignorierend, prüfte sie die Sprossen über ihr auf ihre Haltbarkeit. Die Treppe war alt und wurde offenbar nicht mehr benutzt, vielleicht hatte man den Keller längst vergessen. Das Gitter der Sprossen war durchgerostet und brüchig wie Pergamentpapier. Da sie wusste, dass die Seiten – wo die Verbindung am stärksten und das Metall am dicksten war –, die größte Sicherheit boten, kroch sie auf allen vieren nach oben und hielt sich dabei so weit wie möglich rechts, ihr Gewicht nach vorne und hinten ausbalancierend.
    Nach zwanzig Stufen gelangte sie an eine weitere Tür. Sie war ebenso wie die erste versperrt, und wieder benutzte sie Maggies Messer. Das verrostete

Weitere Kostenlose Bücher