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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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wo sich die Fenster, die Sammellinsen befanden? Die zerbrochene Scheibe –
    Wieder meinte sie die hohe, gellende Stimme zu hören: Gab es sie wirklich, oder spielte der Wind ihrer Fantasie einen Streich? Doch sie hielt den goldenen Talisman in der Hand, den Maggie gefunden hatte, und plötzlich war sie sicher, dass ihre Schwester hier war, im Turm. Kate hämmerte gegen die Tür, warf sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen, trommelte immer heftiger und lauter auf sie ein.
    Kummer und Wut, die sich in den letzten sechs Monaten aufgestaut hatten, brachen sich ihre Bahn. Sie rüttelte an der Tür, rammte sie mit den Schultern, drosch auf das Schloss ein. Es war ein modernes Schließsystem, zugesperrt, mit Stahlplatten verstärkt – Zylinder und Gehäuse waren massiv, ein industrielles Erzeugnis, einbruchsicher. Kate nahm Anlauf, warf sich mit voller Wucht gegen die Tür und spürte die Erschütterung bis ins Mark, als sie auf die Knie fiel.
    »Ich habe dich gehört Willa«, schrie sie. »Ich komme!«
    Sie lief erneut um den Sockel des Leuchtturms herum. Den Blick fortwährend nach oben gerichtet, machte sie eine senkrechte Fensterreihe an der Ostseite aus, die aufs Meer hinausblickte. Das unterste Fenster befand sich gute fünf Meter über der Erde – ja, das musste es sein! Es war zerbrochen, ein gezacktes Loch klaffte in der Scheibe. Doch ohne Leiter war es unerreichbar.
    Eine Leiter … Kate lief ein paar Schritte zurück, zu den umliegenden Büschen; vielleicht hatten die Jenkins-Männer irgendetwas dagelassen, was sie gebrauchen konnte: Holzplanken, Sägebock, Leitern … nichts. In der Dunkelheit stolpernd, überlegte sie kurz, ob es nicht besser wäre, loszulaufen und Hilfe zu holen, im East Wind. Oder John und die Polizei anzurufen …
    Aber was war, wenn der Mann – oder wer auch immer Willa im Turm gefangen hielt – in der Zwischenzeit zurückkehrte und sie fortschleppte, in ein anderes Versteck? Oder wenn sie sich das Ganze nur einbildete und ihre Schwester überhaupt nicht im Leuchtturm war? Sie schluchzte frustriert und rannte los, zum Sockel des Turmes zurück. Der Lichtstrahl nahte, beleuchtete den Boden für einen Moment, bevor er weiterwanderte; dann wurde es wieder stockfinster, und plötzlich spürte Kate, wie sie ins Leere trat.
    Sie fiel und fiel, in die bodenlose Dunkelheit, während Willas klagende Stimme in der dünnen Luft über ihr verklang.
     
    Als John nach Westen fuhr, zum Haus seines Vaters im Zentrum der Stadt, entdeckte er mit einem Mal einen großen silbernen Mercedes, der langsamer fuhr und an einer Ampel hielt. Da er den Fahrer erkannt zu haben glaubte, trat er auf die Bremse, und das gelbe Licht einer Straßenlaterne fiel auf das Gesicht des Mannes.
    Was machte Phil Beckwith in Silver Bay? Er war vermutlich auf der Durchfahrt, auf dem Weg von Winterham zum Highway, um nach Providence zurückzufahren, dachte John und hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er an die versäumte Verabredung im Gefängnis dachte.
    Merrill hatte Beckwith möglicherweise etwas erzählt, was der Polizei helfen würde, den Nachahmungstäter zu fassen. John war fest entschlossen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass weitere Mädchen sterben mussten. Die Sorge um Maggie hatte den Ausschlag gegeben. Eine ganze Stadt lebte in Angst. Der Spuk musste ein Ende haben.
    Als er in den Rückspiegel blickte, sah er Beckwiths Bremslichter an der roten Ampel. Dann bog der Wagen mit den breiten Rücklichtern in die Küstenstraße ein. Wenn John auf der Stelle umkehrte, konnte er den Doktor noch erwischen, bevor er den Highway erreichte.
    Auf dem IGA -Parkplatz wendete er scharf und gab Gas. Er holte den Mercedes binnen kurzer Zeit ein, und der Wagen hielt am Straßenrand, als hätte ihn der Doktor im Rückspiegel erkannt.
    »Hallo, John«, sagte Beckwith und kurbelte sein Fenster herunter; seine Miene war besorgt. »Alles in Ordnung?«
    »Tut mir Leid, dass ich die Verabredung nicht einhalten konnte. Mir ist etwas Wichtiges dazwischengekommen …«
    »Schon gut. So was kann passieren.«
    »Sind Sie auf dem Heimweg?«
    »Ja.« Der Doktor sah müde aus. »Es war ein anstrengendes Gespräch, aber sehr produktiv; ich habe noch eine lange Fahrt vor mir, Zeit, über alles nachzudenken, was zur Sprache gekommen ist, und über das weitere Vorgehen zu entscheiden.«
    »Das weitere Vorgehen?«
    »Ja – in Zusammenhang mit unserem Fall.«
    »Ich dachte – könnten Sie vielleicht eine Minute

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