Die geheime Stunde
entdeckt worden.
Jacqueline Rey
: vierzehn, Einzelkind, ihrer allein erziehenden Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten; war vier Abende vorher als vermisst gemeldet worden, bevor man sie zwischen den Holzbohlen der Mole des Easterly Yacht Club fand.
Beth Nastos
: zwanzig, Buchhalterin im Nastos Seafood, groß und schlank, mit einem schüchternen Lächeln; ihre Leiche war – noch makabrer – in der aus Steinen und Stahl errichteten Mole des Mount Hope Fischereiunternehmens verborgen gewesen, das sich seit einem Jahrhundert im Besitz ihrer Familie befand.
Patricia McDiarmid:
dreiundzwanzig, hatte gerade ihr erstes Kind zur Welt gebracht; ermordet in der Kluft, die sie beim Lauftraining getragen hatte, in einem Tunnel in Exeter versteckt, unter dem State Pier aus Beton.
Kein Tag ging vorüber, ohne dass John an die Opfer dachte. Anfangs hatten sie ihn bis in seine Träume verfolgt, eine nach der anderen; er hatte sie angefleht, ihm zu sagen, was sie von ihm wollten, und im Gegenzug eines von ihnen erbeten: Erbarmen. Sie sollten ihm verzeihen, dass er ihren Mörder verteidigte. Das war seine Heimatstadt, und die Bewohner lagen ihm am Herzen.
Dem Vernehmen nach waren Strafverteidiger abgebrüht und dickhäutig, nur an einem Sieg für ihre Mandanten und Schlagzeilen für die eigene Karriere interessiert. John war der Sohn eines Richters. Er war damit aufgewachsen, in der letzten Reihe des Gerichtssaals zu sitzen, wenn sein Vater den Vorsitz über eine Verhandlung führte, und hatte achtbare Bürger auf der Anklagebank gesehen. Hinter den geschlossenen Türen der feinen Gesellschaft von Connecticut verbargen sich viele Geheimnisse und Probleme – sein Vater hatte ihm beigebracht, die Menschen trotz ihrer nicht immer glatt und geradlinig verlaufenden Biografie zu verstehen und zu respektieren, und er hatte begriffen, dass die Gerechtigkeit und das Leben komplexer waren, als man gemeinhin annahm.
»Wir sind da«, sagte er zu dem Taxifahrer. John blickte durch das Fenster des Wagens zu dem großen weißen Haus, den Steinmauern und den hohen alten Bäumen hinüber. Der Zuckerahorn – Theresas Lieblingsbaum – hatte seine Rotschattierung während der kalten Nacht noch vertieft, näherte sich dem Höhepunkt seiner herbstlichen Farbenpracht. Auf der Landzunge, eine Viertelmeile entfernt, schimmerte der Leuchtturm strahlend weiß im kalten Sonnenschein. Ein Streifenwagen der Polizei fuhr langsam auf Patrouille vorbei.
Wir hatten alles im Griff, wir vier Musketiere
… dachte er, den Anblick in sich aufnehmend. Als er an seine Freunde aus der Highschool dachte, die ausnahmslos in der Umgebung lebten, wurde er unverhofft von Gefühlen übermannt.
John, der Sohn eines Richters, war Anwalt geworden. Billy Manning, Sohn eines Polizisten, war in den Polizeidienst eingetreten. Und Barkley Jenkins, dessen Vater der letzte Leuchtturmwärter gewesen war, betrieb einen Landgasthof und wartete nebenbei den inzwischen vollautomatisierten Leuchtturm.
Theresa wurde als vierter Musketier in die Männerrunde aufgenommen: Seit sie im zweiten College-Jahr zum ersten Mal miteinander ausgegangen waren, wollte John nicht mehr ohne sie sein, und sie waren unzertrennlich gewesen. Obwohl sich Billy und Barkley an manchen Abenden von ihren Freundinnen loseisten, hatte John insgeheim Angst gehabt, Theresa auch nur eine Minute aus den Augen zu verlieren. Seine Freunde pflegten ihn damit aufzuziehen, aber John war verliebt gewesen und hatte sich nicht um ihr Gerede geschert. Hatte er es damals schon geahnt? Dass sie zu schön war, um für immer bei ihm zu bleiben?
Hastig holte John seine Brieftasche heraus und bezahlte.
Das zerbrochene Fenster glich einer klaffenden Wunde im Sonnenlicht, das gezackte Glas bildete einen offenen Stern. Er würde gleich anrufen, damit es repariert wurde, bevor die Kinder nach Hause kamen.
Als er die Stufen hinaufging, blickte er durch die Eingangstür und sah Maggies Büchertasche auf dem Fußboden in der Diele. Hatte sie vergessen, sie mitzunehmen? Johns Magen verkrampfte sich, als er daran dachte, dass sich das neue Kindermädchen jetzt schon als Reinfall erwies. Als er die Hand auf den Türknauf legte, drehte er sich instinktiv um und hielt nach ihrem blauen Wagen Ausschau.
Er war nicht mehr da.
Die Tür war unverschlossen.
John schlug das Herz bis zum Hals. Er betrat die Diele. Zweimal hatten Theresa und er hier gestanden, als sie die Kinder nach der Entbindung nach Hause gebracht hatte – warum
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