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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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entdecken und merken würde, dass er geflunkert hatte, was Maeve betraf.
    »Wir hätten beinahe ein gutes gehabt, Gramps«, sagte Maggie und setzte sich an den Küchentisch.
    »Ein gutes was?«
    »Ein gutes Kindermädchen. Das wir mochten.«
    »Wirklich? Und, was ist passiert?« Der Richter setzte sich auf seinen Stammplatz am Tisch und schickte sich an, seine Enkelin nach allen Regeln der Kunst auszuhorchen. Alles im Leben wiederholte sich; als junger Mann hatte der Richter oft zu viel zu tun gehabt, um sich lange mit seinem Sohn zu unterhalten. Nun hatte Johnny zu viel zu tun, um seinen Vater auf dem Laufenden zu halten.
    »Dad mochte sie nicht. Oder vielleicht doch, aber er war nicht gerade erfreut, dass sie mich ohne seine Erlaubnis in ihrem Wagen mitgenommen hat. Bloß, Gramps – wie sollte sie denn fragen, wo Dad doch im Krankenhaus war und genäht wurde? Sie wollte doch nur helfen.«
    »Helfen? Wie denn?«
    »Sie hat Brainer in die Autowaschanlage gebracht. Es war …« Sie schloss die Augen, kaute ihren braunen Keks und suchte nach dem zutreffenden Ausdruck. »Magisch.«
    »Magisch«, sagte der Richter spöttisch. »Ein räudiger alter Jagdhund in einer
Autowaschanlage?«
    »Ja. Kate – so heißt sie – sagte, dass alle Tiere Wasser lieben. Sie meinte, dort, wo sie herkommt, würden sogar die Wildpferde im Meer und die Hund im Bach schwimmen – das sei genau wie eine Dusche. Sie sagte, das würde auch für Menschen gelten. Wasser würde bewirken, dass wir uns gleich besser fühlen. Und weißt du was, Gramps?«
    »Was?« Der Richter streckte die Hand aus, um die Schokoladenkrümel von ihrem Mund zu wischen.
    »Man fühlt sich wirklich besser. Ich jedenfalls. Ich habe gebadet und mir die Haare gewaschen, nachdem sie gestern Abend weg war, und das mache ich heute Abend wieder.«
    Die Augen des Richters verengten sich. War John verrückt geworden? Das neue Kindermädchen hatte den Hund gewaschen, hatte in Maggie den Wunsch geweckt,
selbst
ein Bad zu nehmen, und da nörgelte er an solchen Lappalien herum? Obwohl dem Richter klar war, dass man – vor allem als Eltern – nicht vorsichtig genug sein konnte, verstand er auch, welche Schwierigkeiten Johns Leben mit sich brachte. Gutes Personal zu finden war schwer, und bedauerlicherweise mangelte es beiden O’Rourke-Männern genau daran.
    Womit er wieder beim Thema Maeve war.
    Heute Morgen war sie in den Garten gegangen, um sich, von Frau zu Frau, mit ihrer Schwester Brigid zu unterhalten – Brigid, die seit fünfzehn Jahren tot war. Manchmal sprach Maeve auch mit ihren Söhnen – nur, dass sie nie verheiratet gewesen war und, soweit dem Richter bekannt war, keine eigenen Nachkommen hatte. Sie hatte ihren imaginären Sprösslingen sogar biblische Namen gegeben: Matthew, Mark, Luke und John.
    Diese Gewohnheit beunruhigte den Richter. Nicht nur, weil seine Haushälterin auf dem besten Weg war, den Verstand zu verlieren, sondern weil er sich gelegentlich – nicht so häufig wie Maeve, aber oft genug – bei ähnlichen Dingen ertappte.
    Schon zweimal hatte er sich an seinem Schreibtisch wiedergefunden, wo er den Geschworenen Anweisungen erteilte – nur, dass es keine Geschworenen mehr gab. Letzte Woche war er mitten in der Nacht aufgewacht und hatte festgestellt, dass er im Schlafzimmer stand und statt seines abgetragenen karierten Bademantels die Richterrobe trug, die er viele Jahre im Gerichtssaal angehabt hatte. Als hätte sein Unterbewusstsein versucht, ihm einen Teil seiner Würde und Selbstachtung zurückzugeben, die ihm Schritt für Schritt zu entgleiten drohten.
    Das Gleiche galt für Maeve. Als herausragende Köchin und nach zwanzig Jahren in seinen Diensten betrachtete sie die Küche immer noch als ihr Reich, baute das gesamte Kochgeschirr aus Kupfer und Edelstahl um sich herum auf und schlug Unmengen Sahne, aus köstlich gewürztem Wasser. Menschen bewahrten sich, selbst wenn sie senil wurden, ihre Neigung zu Aktivitäten, die ihnen schon immer Spaß gemacht hatten, die ihnen ein Gefühl über die eigene Identität vermittelten.
    »Wo ist Daddy?« Maggie füllte ihr Milchglas nach. »In der Kanzlei?«
    »Ich glaube, er hat etwas über eine Besprechung gesagt, auswärts.«
    »Auswärts?« Maggie saß wie versteinert da.
    Der Richter biss sich auf die Lippe, wünschte, er könnte lügen und erklären, er habe sich geirrt. Er hatte in dieser Hinsicht keinerlei moralische Bedenken. Bestimmte Lügen waren sogar ein Akt der Barmherzigkeit; er

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