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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Billigung des Gesetzes hinter ihnen, wieder in die Gesellschaft entlassen? Hunderte?
    Tausende?
    Der Richter seufzte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben – trotz dieses sonnigen Kindes, Inbegriff der Unschuld, das mit Kekskrümeln auf den Lippen neben ihm saß –, wusste er, dass jeder von ihnen das Recht auf ein faires Verfahren hatte.
    Das Problem war, dass der Richter keinen Nerv mehr für das ganze Brimborium hatte. Als leidenschaftlicher Liberaler in seiner Jugendzeit hatte er sich – in Teddys Jargon – im Lauf der Jahre in einen erzkonservativen Juristen verwandelt. Richter Miles Adams, dem der Vorsitz bei dem langen, emotional aufgeheizten Prozess überantwortet worden war, der Gregory Bernard Merrill in die Todeszelle schickte, genoss seine hundertprozentige Unterstützung.
    »Deinetwegen«, sagte er laut. Während er Maggie ansah, die von ihrer Mutter die betörenden blauen Augen geerbt hatte, wurde dem Richter klar, dass die Kinder der Grund für die Bekehrung zu seiner konservativeren Denkweise waren.
    »Was, Gramps?«
    »Hmmm?«, fragte er, immer noch in die Betrachtung ihres Gesichts versunken.
    »Du sagtest: ›deinetwegen‹. Was ist meinetwegen?«
    Der Richter errötete. Er war bei einem seiner Maeve-Momente ertappt worden. Laut vor sich hin redend, statt seine Gedanken für sich zu behalten. Würde sich noch Ärger einhandeln, wenn das so weiterging.
    »Nichts, mein Schatz. Lass dir deinen Brownie schmecken.«
    »Ich dachte, Maeve hat abgewaschen.« Maggies kühler Blick schweifte zum Spülstein, der überquoll. »Sie ist wohl zu müde gewesen, um weiterzumachen.«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Ich helfe ihr.« Maggie nahm ihr Glas und den Teller vom Tisch, ging zum Spülstein und drehte den Wasserhahn auf. »Abwaschen tut gut … das warme fließende Wasser schwemmt alles Schlechte weg, in den Abfluss. Hat Kate gesagt.«
    »Kate?«
    »Unser Fast-Kindermädchen«, erklärte Maggie wehmütig.
    »Klingt ganz so, als sei Kate nicht nur klug, sondern auch ein praktisch denkender Mensch; eine seltene Mischung.«
    »Das ist sie.«
    »Maeve wird deine Hilfe zu schätzen wissen«, erwiderte der Richter ruhig und sah zu, wie Maggie die Ärmel hochkrempelte und grünes Spülmittel ins Abwaschbecken spritzte.
    Er war im Laufe der Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass seine Aufgabe im Leben darin bestand, Maeve zu beschützen. Es kam für ihn nicht in Frage, sie in irgendein Altersheim abzuschieben. Sie hatte keine Kinder; ihre Schwester war verstorben.
    Sie hatte seit Leilas Tod für ihn gesorgt, und nun war es an der Zeit für ihn, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Der Richter war ihr Ein und Alles – und umgekehrt. Zu seiner Überraschung hatte er festgestellt, dass er fähig war, noch einmal eine Frau zu lieben – eines der wunderbaren, unergründlichen Geheimnisse des Lebens.
    Richter Patrick O’Rourke sah seine Aufgabe darin, Maeve Connelly das Gefühl häuslicher Geborgenheit zu geben. Jeder Mensch brauchte jemandem, dem er seine Liebe schenken konnte. Jeder, ohne Ausnahme. Bei dem Gedanken daran, was John mit Theresa durchgemacht hatte, wurde dem Richter schwer ums Herz. Ihr Treuebruch hatte ihn am Boden zerstört. Bis heute hatte er sich geweigert, eine Verabredung mit einer Frau auch nur in Betracht zu ziehen, und es war zweifelhaft, ob sich an dieser Einstellung je etwas ändern würde. Er brauchte Liebe, wie jeder Mensch, aber er gestattete sich nicht, danach zu suchen.
    Einige Dinge gingen einfach zu tief unter die Haut.
     
    John O’Rourke betrat das Winterham, das einzige staatliche Supersicherheitsgefängnis, in dem sich der Todestrakt befand. Von einigen Wärtern begrüßt, von anderen geflissentlich übersehen, eilte er an den hohen, von messerscharfem Stacheldraht gekrönten Mauern vorbei, passierte eine Reihe Metalldetektoren und automatisch schließende Türen.
    »Ich möchte zu Greg Merrill«, sagte er zu Rick Carmody, einem bulligen, stumpfsinnigen Wärter, den er häufiger zu Gesicht bekam und der vorgab, den Grund für seine Besuche nicht zu kennen.
    »Sie müssen warten«, sagte der Wärter, ohne von seiner Zeitschrift aufzublicken.
    John hielt seine Zunge im Zaum, aber er spürte, wie sein Blutdruck stieg. Als Pflichtverteidiger eines Insassen der Todeszelle brachte man ihm weniger Achtung entgegen als einem Dieb, doch die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass alles nur noch langsamer ging, wenn man Protest einlegte.
    Er nahm auf dem harten braunen Vinylstuhl Platz, öffnete

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