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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Wetter gegerbt wie die Bäume, die sie säumten. Zwischen verkrüppelte Fichten geschmiegt, in einer Kuhle aus Sand, Erde und Fichtennadeln, verschmolz sie mit der Natur. Braune Eulen nisteten in den Hohlräumen abgestorbener Bäume; Kate hörte ihre mächtigen Flügelschläge, als sie sich näherte. Bonnie, der die Umgebung allem Anschein nach unheimlich war, blieb Kate dicht auf den Fersen.
    Der verrostete Pick-up ihres Bruders stand hinter der Hütte. Blaue Plastikfässer, nach Salzwasserlösung zur Konservierung der Austern stinkend, waren auf der Ladefläche gestapelt. Berge von Austernschalen, hoch wie der Dachfirst, schimmerten im fahlen Licht der Novembersonne. Kates Kehle war wie zugeschnürt; ihr Bruder suchte immer noch nach der Königinperle.
    Sie klopfte an die Tür. Keine Antwort, deshalb klopfte sie noch einmal. Sie presste das Ohr an das trockene, gesplitterte Holz und lauschte auf ein Lebenszeichen. Kein Laut war zu hören. Sie schnupperte, roch den allgegenwärtigen Zigarettenrauch.
    »Ich weiß, dass du da bist. Also mach lieber auf«, rief sie.
    Keine menschliche Reaktion, aber eine Seemöwe landete auf dem Austernschalen-Hügel, trat eine kleine Lawine los. Sie lockte weitere Seemöwen herbei – die ein Lebenszeichen sahen, auf Nahrung hofften. Ein Tier bewegte sich durch das Unterholz; als Kate den Kopf umwandte, sah sie, dass sie von einigen zerzausten Wildpferden beobachtet wurde. Bonnie knurrte leise, den Körper flach auf den Boden gepresst.
    Schließlich wurde die Tür mit einem Ruck geöffnet.
    »Hallo, Matt.«
    »Hallo, Katy.«
    Er war hoch gewachsen und spindeldürr, gebeugt wie ein alter Mann. Die Haare reichten ihm bis zur Schulter, wirkten stumpf und verfilzt wie das Bett aus braunen Fichtennadeln, das den sandigen Boden bedeckte. Als er sich bückte und Bonnie hinter den Ohren kraulte, floss ihr Herz über vor Liebe. Seine verhangenen blauen Augen schweiften über ihren Kopf hinweg, zu den Wildpferden. Sie ruhten auf den Köpfen mit den langen Mähnen, den großen, aufmerksamen Augen, dem schmutzigen weiß-braunen Fell.
    »Sie haben Hunger. Der Winter steht vor der Tür.«
    »Ich weiß.«
    Matt ging zu seinem Transporter und holte einen geschlossenen Container mit Essensresten von einem der Inselrestaurants heraus. Kates Magen verkrampfte sich – er hatte sich schon einmal Ärger eingehandelt, weil er die Abfalltonnen nach Nahrung für die Pferde und sich selbst durchsucht hatte. Er stemmte den Deckel auf und verstreute welken Salat, Mohrrüben und Kohlblätter im Sand, als die Wildpferde näher kamen, um zu fressen.
    Matts Bart war lang, beinahe völlig ergraut. Der Anblick ihres Bruders brach Kate das Herz.
    »Willst du mich nicht hereinbitten?«
    Er trat wortlos beiseite, ließ sie über die Schwelle treten.
    Seine Hütte war genauso chaotisch wie immer. Er hatte sie seit ihrem letzten Besuch isoliert – rosafarbene Glaswolle dichtete die aus rohem Holz bestehenden Bretterwände ab, die weder mit Hartfaserplatten noch einer anderen Art von Wandmaterial verkleidet waren. Das Spülbecken quoll über von schmutzigem Geschirr, das sich auch auf der Arbeitsfläche und dem Frühstückstresen mit der Kunststoffplatte stapelte. Eine Zigarette qualmte in einem randvollen Aschenbecher vor sich hin, beißender, abgestandener Rauch erfüllte die Luft. Bonnie erkundete den Raum, dann rollte sie sich neben dem glimmenden Holzofen zusammen.
    Neben dem einzigen Sessel im Raum stand ein breiter Tisch, auf dem ein Austernmesser lag. Ein Eimer mit weggeworfenen Schalen stand halb gefüllt an der Seite. Ein zweiter Eimer war mit matt schimmernden Austern gefüllt, die für den Verkauf bestimmt waren und darauf warteten, in der Kühlkombination am anderen Ende des Raumes zwischengelagert zu werden. Auf dem Tisch weckte eine kleine Schale mit Perlen ihre Aufmerksamkeit.
    »Immer noch auf der Suche?« Kate musste wider Willen lächeln.
    »Ja.« Matt runzelte die Stirn, nahm seine Zigarette aus dem Aschenbecher und machte einen tiefen Zug. Seine Finger und die Barthaare um den Mund waren vom Nikotin gelb verfärbt. Sein Blick schweifte umher, bemüht, Kate auszuweichen, aber seine Augen kehrten immer wieder zu ihr zurück, und zögernd breitete sich ein Lächeln in ihnen aus.
    »Ich habe die Suche nach der Königinperle nicht aufgegeben«, sagte er, während das Lächeln seine Lippen erreichte. Er schob seiner Schwester die Schale zu und beobachtete, wie Kate die cremefarbenen, blass silbernen und

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