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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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fast schwarzen Perlen durch ihre Finger gleiten ließ. Einige waren perfekt gerundet, andere krumm und schief. Alle entstammten dem Meer, Matts geliebtem Ozean, weiche Perlmutterschichten, von den Austern geschaffen, die er in seinem Boot nach Hause brachte.
    »Sie sind schön.«
    »Kaum zu glauben, findest du nicht? Dass ein so schrecklicher Leidensprozess etwas so Kostbares hervorbringen kann. Du weißt, wie Perlen entstehen, oder? Sandkörner lagern sich im Gehäuse der Auster ein, ein krankhafter Reiz entsteht, der eine heftige Reaktion verursacht – die Auster versucht, den Fremdkörper auszuscheiden, und so bilden sich konzentrierte Perlmutterschichten, und eine Perle entsteht.«
    »Ein Leidensprozess, der etwas Gutes bewirken kann«, flüsterte Kate und schloss die Augen, lauschte den Fichtenzweigen, die das Blechdach streiften, und dem Wiehern der Wildpferde, als sie am Strand entlanggaloppierten.
    »Ich muss die Königinperle finden, für Willa«, sagte Matt. »Damit ich sie ihr geben kann, wenn sie nach Hause kommt …«
    »Matt.« Kate riss die Augen auf, ergriff die Hand ihres Bruders. Sie versuchte ihn zu bewegen, im Sessel Platz zu nehmen, aber er rührte sich nicht von der Stelle.
    »Sag mir, was los ist.« Seine Augen funkelten, er knirschte mit den Zähnen. »Ich muss mich nicht setzen.«
    »Willa lebt nicht mehr, Matt.«
    »Sie lebt nicht mehr? Wieso lebt sie nicht mehr?«
    »Erinnerst du dich an den Serienmörder, von dem ich dir erzählt habe? Der diese Mädchen in Connecticut umgebracht hat? Ich habe mit seinem Anwalt gesprochen. Die beiden waren zur selben Zeit am gleichen Ort. An derselben Stelle.«
    »Und?«
    »Sie ist ihrem Mörder in die Arme gelaufen, Matt.«
    Matt stand dreißig Sekunden reglos da, mit angehaltenem Atem. Als sei er zur Salzsäule erstarrt. Aber Kate sah, wie sein Gehirn fieberhaft arbeitete – seine Augen glühten, schweiften hin und her. Er schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
    »Was für eine andere Erklärung könnte es geben? Warum kommt sie nicht nach Hause? Warum sollte sie uns das antun?«
    »Sie hatte ein Verhältnis mit deinem Ehemann, diesem Scheißkerl. Sie schämt sich.«
    »Matt, das hätten wir durchgestanden, Willa und ich. Sie wusste, dass ich ihr verziehen hätte«, sagte Kate, obwohl die Worte schmerzten und sie an den Bruch erinnerten, der zwischen ihr und ihrer Schwester entstanden war.
    »Vielleicht konnte sie sich selbst nicht verzeihen – hast du jemals daran gedacht?«
    »Sie schrieb mir eine Postkarte. Ich weiß, dass sie vorhatte, nach Hause zurückzukommen! Wir blieben in Kontakt … sie wollte, dass wir uns aussprechen. Sie wollte mich wiedersehen, und das war auch mein Wunsch. Wir waren auf dem besten Weg, die Angelegenheit zwischen uns zu bereinigen.«
    »Selbstekel ist eine starke Triebfeder.« Seine Stimme klang ruhig, als hätten Kummer und Gefühle ihn erschöpft; er zündete die nächste Zigarette an, nahm einen langen, tiefen Zug.
    Kate konnte es nicht fassen. Sie war sprachlos und wütend. Sie hatte immer gewusst, dass ihr Bruder ein seltsamer Kauz war, ungesellig, auf seine Weise mental gestört – aber konnte er nicht ein einziges Mal eine Erklärung so akzeptieren, wie sie war, ohne sie im Licht seiner eigenen verqueren Weltsicht zu betrachten?
    »Du bist verrückt.«
    »Ja. Vermutlich.«
    »Du hättest dort sein müssen! Dieser gottverlassene Parkplatz in Massachusetts, in der Mitte von Nirgendwo – in der Stadt wimmelte es von rostiger Angelausrüstung und morschen Fischerbooten, so dass ich sofort an dich gedacht habe, wie sehr es dir dort gefallen würde. Ich bin nach dem Abendessen hingefahren, um mich an der Tankstelle nach Willa zu erkundigen, und plötzlich taucht Greg Merrills Anwalt aus dem Nichts auf – er ging der gleichen Spur nach, das schwöre ich dir, Matt!«
    »Na und?«
    »Das sind zu viele Zufälle … und außerdem hat er es mir gesagt, Matt. Dass Merrill gestanden hat, dort gewesen zu sein.«
    »Wem hat er das gestanden?«
    »Ihm – seinem Anwalt! Er hätte keinen Grund, ihn zu belügen.«
    »Hat er gestanden, dass er Willa entführt hat?«
    »Nein, aber …«
    »Hat er gestanden, dass er ihr etwas angetan hat?«
    »Nein! Aber hör mir doch einen Moment zu, Matt …«
    » DU HÖRST MIR ZU !«, brüllte er und wich so heftig zurück, dass er den Eimer mit den Austerngehäusen und die Schale mit den Perlen umstieß. Sie wurden in alle Winde verstreut, rollten über den Fußboden wie

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