Die geheime Stunde

Intimsphäre wahren« kann – als ob sich irgendjemand ausgerechnet für so was Blödes wie MEINEN Körper interessieren würde! Aber Dad glaubt, er müsste uns auf Schritt und Tritt beschützen, und dafür lieben wir ihn, also hat es keinen Zweck, auf die Barrikaden zu gehen! Und stell dir vor, die Vorhänge sind nur für hier – sobald wir wieder zu Hause sind, weil eine gute Kindermädchen-Fee von ihrer rosa Wolke herabschwebt, um uns vor und nach der Schule zu versorgen, werde ich dort ebenfalls neue bekommen!
    Dad scheint sich mit solchen Dingen gut auszukennen – wahrscheinlich wegen der »Widerlinge«, die er als Anwalt vertritt. Und wegen der gemeinen Tricks, die sie auf Lager haben, um sich Einlass in sämtliche Wohnzimmer zu verschaffen. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man einen bekannten Strafverteidiger zum Vater hat? Solltest du irgendwann einmal ausprobieren!
    Jetzt muss ich aber Schluss machen und mir die Zähne putzen. Teddy lässt dich herzlich grüßen. Dad auch. Ich musste mir deine Adresse von ihm besorgen und als ich es erwähnte, bat er mich, dir die Sache mit den Vorhängen zu erzählen und dir auszurichten, du möchtest darauf achten, dass du bei dir zu Hause in Washington selber welche hast. Kennst du den Präsidenten? Oder Senatoren? Etc.? Muss cool sein; die Neunte hat im letzten Frühjahr während der Ferien eine Klassenfahrt dorthin gemacht.
    Vielleicht kann ich dich besuchen kommen, wenn ich in der neunten Klasse bin! Bis dahin muss ich allerdings noch ein paar Jahre warten … (bu-hu.) Du fehlst mir, Kate. Ich wünschte, du würdest hier wohnen – ich wünschte, du wärst unsere gute Kindermädchen-Fee und keine Meeresschutz-Expertin, wie Dad sagt. Obwohl das auch ganz hübsch klingt.
    Danke nochmals für den Schal!
    Alles Liebe, Maggie O’Rourke
     
    *Fußnote: Ich nenne seine Mandanten natürlich nicht »Widerlinge«, auch wenn alle Welt das tut! Die Mutter von meiner Freundin Carlie sagt es jedes Mal, wenn ich bei ihr zu Hause bin. Deshalb lasse ich mich dort nicht mehr blicken … Wunderst du dich, dass ich Fußnoten kenne, obwohl ich erst zwölf bin? Das ist wieder so etwas, womit man aufwächst, wenn es überall vor Juristen wimmelt!
    Als Maggie Teddy gebeten hatte, den Brief im Büro ihres Vaters abzuliefern, damit er adressiert und zur Post gebracht werden konnte, hatte er gefragt, ob er ein P. S. hinzufügen dürfe. Maggie sagte, klar, solange er den Teil des Briefes nicht las, den sie geschrieben hatte. Seit Dad die neuen Vorhänge in ihrem Zimmer aufgehängt hatte, nahm sie es mit der Intimsphäre sehr genau – was Teddy ungemein erheiternd fand. Doch während er an Kate schrieb, achtete er darauf, Maggies Worte zuzudecken.
    Liebe Kate, (schrieb Teddy)
    wie geht es dir? Wie war die Fahrt – oder, wie du in deiner Nachricht für Maggie geschrieben hast – deine Reise?
    Eine Reise klingt gut, würde ich auch gerne machen. Flugzeuge, Züge, Boote … einsteigen und nichts wie weg. Nicht, dass es mir zu Hause nicht mehr gefällt. Oder dass ich meine Familie nicht liebe. Aber ich finde es auch wichtig, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen.
    Apropos – glaubst du, ich könnte dich irgendwann in Washington besuchen?
    Ich weiß, wir kennen uns nicht besonders gut, aber wir haben uns über unsere Schwestern unterhalten, und dann hast du Brainer gebadet. Ich wusste sofort, dass du etwas Besonderes bist. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich das sage …
    Wie auch immer, ich würde gerne nach Washington kommen, um mir den Obersten Gerichtshof anzuschauen. Es hat keine Eile, aber wenn du mal nicht so viel zu tun hast, könnte ich mich ja in den Zug setzen.
    Wenn man reisen will, wäre das doch ein guter Anfang, oder?
    Wie auch immer, ich hoffe, dass es dir gut geht. Grüß Bonnie von mir; Brainer braucht wieder ein Bad, und Maggie und ich werden deinem Beispiel folgen und ihn in die Autowaschanlage bringen! Die Fußballsaison ist für dieses Jahr vorbei. Wir sind Zweiter geworden in unserer Liga, liegen knapp vor Riverdale in Führung. Danke, dass du zu meinem Spiel gekommen bist.
    Gib gut auf dich Acht, Kate.
    Dein Freund
    Teddy O’Rourke
    John saß in seinem Büro und holte die Visitenkarte von Kate Harris aus seiner Brieftasche. Er sah sie kurz an und schrieb die Adresse ihres Büros auf Maggies Umschlag. Dann legte er den Brief in die Ablage für den Postausgang, damit Damaris ihn frankieren und abschicken konnte.
    Der Anblick von