Die geheime Stunde
Ma –
meine –
entzündeten Fußballen zu besorgen. Tun höllisch weh.«
»Erzähl mir nichts, Dad.« John grinste. »Die Besorgung war doch für Maeve. Mir kannst du nichts vormachen. Sag mal, was läuft da eigentlich zwischen euch beiden? Mir kannst du es doch verraten.«
»Kümmere du dich um deine eigenen Angelegenheiten, du Grünschnabel«, sagte sein Vater, bemüht, eine strenge Miene aufzusetzen, aber unfähig, ein Lächeln zu unterdrücken.
»Wenn du meinst.«
Sein Vater nickte, froh darüber, dass die Angelegenheit damit erledigt war. »Ich war im Gericht, aber heutzutage ist dort nichts mehr los. Früher ging kein Tag vorbei, an dem nicht irgendeine Verhandlung auf der Tagesordnung stand. Zuerst führten meine Kollegen und ich als Rechtsbeistand Prozesse, und später, als ich den Vorsitz als Richter führte, standen andere Anwälte vor mir …«
»Das waren noch Zeiten, was, Dad?«
»Kann man wohl sagen, John. Was ist mit dir? Klebst du immer noch am Fall Merrill?«
»Kleben würde ich nicht sagen. Wir machen Fortschritte.«
»Was sagen deine Kollegen dazu? Wenn ihr Starverteidiger seine Zeit mit einer derart undankbaren Arbeit verplempert und für andere Aufgaben blockiert ist?«
»Ehrlich gesagt, die Meinungen gehen auseinander.« John forderte seinen Vater auf, in dem Windsor-Sessel Platz zu nehmen – der das goldenen Siegel von Yale auf der Rücklehne trug –, und lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. »Sie stimmen weitgehend mit der jeweiligen politischen Einstellung überein. Die Gegner der Todesstrafe unterstützen mich, die Befürworter werden zunehmend ungeduldig.«
Sein Vater schmunzelte. »Das kann ich mir vorstellen. Du bist ein junger Spund, weithin bekannt in Fachkreisen, und man erwartet, dass du deiner Firma Ruhm und Ehre einbringst. Stattdessen bringst du einen ganzen Staat gegen dich auf, indem du einen Menschen zu retten versuchst, den niemand gerettet sehen will.«
»Ich weiß.«
»Sie richten über ihn, wobei sie den wichtigsten Punkt vergessen: Er ist trotz alledem ein menschliches Wesen. Er hat ein Recht auf die bestmögliche Verteidigung, die ihm laut Gesetz zusteht.«
»Bring das mal den Steinewerfern bei.«
»Ich weiß, ich weiß. Dein Pech, dass du dich für ein dermaßen verabscheuungswürdiges Exemplar ins Zeug legen musst. Die Leute in der Gegend kennen alle jemanden, der um tausend Ecken mit einem der ermordeten Mädchen bekannt oder verwandt ist …«
John nickte, dachte an Kate. Er dachte an den Kuss, und dann fiel ihm wieder ein, was er ihr verraten hatte. Er errötete, und sein Vater bemerkte es prompt. Nun hatte er den alten Mann neugierig gemacht. Sein Vater blickte ihn schweigend an, wartete darauf, dass er mit der Sprache herausrückte.
»Ich habe etwas … Fragwürdiges getan«, beichtete John.
»So?«
John nickte bedächtig. Er stand auf, durchquerte das Büro und schloss leise die Tür. »Ich bin froh, dass du da bist, Dad. Ich muss etwas mit dir besprechen. Etwas Wichtiges.«
Sein Vater legte den Kopf schräg, wartete.
John holte tief Luft. Sein Blick umfasste all seine Urkunden und Zertifikate, die Bildergalerie – das Hochzeitsfoto seiner Eltern, sein eigenes mit Theresa, Teddy bei der Einschulung, Maggie mit ihrem ersten Tennisschläger und beide Kinder auf ihren Fahrrädern vor dem Paradise Ice Cream …
»Ich habe gegen die Schweigepflicht verstoßen.«
Die Augen seines Vaters weiteten sich überrascht. Der Richter blies die Wangen auf, nickte ernst. »Sprich weiter.«
»Es war niemand vom Gericht, oder jemand, der vorher mit dem Fall in Verbindung stand …«
»Mit dem Fall Merrill?«
»Ja.«
John sah seinem Vater in die Augen, suchte Rat, fürchtete Missbilligung. Er schluckte seinen Stolz wohl oder übel herunter, weil er sich die Sache von der Seele reden und hören musste, was sein Vater dazu zu sagen hatte. Ein anderer hätte vielleicht als Erstes gefragt, ob ihm dieser Vertrauensbruch zum Verhängnis werden könnte, aber nicht Johns Vater. Den Schuldgefühlen – den inneren, seelischen, moralischen Nöten – maß der Richter einen bedeutend höheren Stellenwert bei als dem eigentlichen Schuldspruch – der Möglichkeit, ertappt und bestraft zu werden, was John genauso sah. Dennoch ging er darauf ein, als hätte sein Vater die Frage gestellt.
»Ich glaube nicht, dass sie etwas darüber verlauten lässt … ich bin mir irgendwie sicher, dass sie nichts tun würde, was mir schadet.«
»Eine
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