Die geheime Waffe
Tattergreisen nicht mehr nehmen lassen. Er stand auf und sah jeden Einzelnen von ihnen an.
»Freunde, diese Waffe ist die einzige Möglichkeit, um unsere Urteile aus der notwendigen Entfernung vollstrecken zu können. Ich habe sehr viel riskiert, um an dieses Gewehr zu kommen. Soll ich es jetzt in die Ecke stellen und verstauben lassen? Es gibt eine Reihe von Gesetzesbrechern in unserem Land, die die Justiz als Narrenhaufen vorführen und für die eine Kugel im Grunde noch zu schade ist.«
»Vor allem, wenn dieses Geschoss über tausend Euro kostet«, warf Körver mit herabgezogenen Mundwinkeln ein.
»Das Geld ist nicht wichtig«, tat Sedersen den Einwand mit einer ärgerlichen Handbewegung ab. »Wichtig ist, dass wir ein Instrument der Vergeltung besitzen und es einsetzen können. Vier Todesurteile haben wir bereits verhängt und vollstreckt. Jetzt sollten wir vier weitere fällen.«
Andreas von Straelen sah den Sprecher aufmerksam an. Seit Geerd Sedersen diese Waffe hatte bauen lassen, strahlte er etwas aus, was ihm nicht gefiel. In ihm wuchs der Verdacht, der Mann könne es nicht erwarten, ein weiteres Opfer zu erschießen und dann das nächste und das übernächste. Er musste an Robespierre denken, den gnadenlosen Wächter der Französischen Revolution, der ebenfalls in einen Taumel des Tötens geraten war, und schüttelte den Kopf.
»Wir werden heute keine Urteile fällen und auch in den nächsten Wochen nicht. Erst müssen wir uns im Klaren darüber sein, ob wirklich das Blut weiterer Menschen an unseren Händen kleben soll – Gerechtigkeit hin oder her.«
Da Hermann Körver dem Gastgeber lebhaft zustimmte, knirschte Sedersen mit den Zähnen. Nach ihrer Vereinbarung
mussten die Richtersprüche einstimmig erfolgen, daher waren ihm im Augenblick die Hände gebunden. Mit verkniffener Miene sah er zu, wie Hermann Körver einen rechteckigen Kasten auf den Tisch stellte, diesen öffnete und das Gewehr samt den vier Spezialpatronen hineinlegte.
»Aufgrund des Beschlusses, den wir letztens gefasst haben, werde ich die Waffe aufbewahren, bis wir entschieden haben, ob sie noch einmal eingesetzt werden soll.«
Unwillkürlich streckte Sedersen die Hand aus, um dem alten Mann das Gewehr wegzunehmen, zog sie aber schnell wieder zurück, um keinen Streit mit seinen einstigen Freunden und Gönnern zu provozieren. Körver und von Straelen waren ausgemachte Narren, die den Wert der Waffe nicht einmal erahnten. Aber letztlich taten das auch die anderen beiden nicht. Ihnen war ihr alter Debattierclub lediglich zu fade geworden, so dass sie Hüter der Gerechtigkeit hatten spielen wollen. Themel und Olböter hatten vor ein paar Wochen noch getönt, sie wollten jeden Verbrecher bestrafen, der den Fängen der Justiz entgangen war. Als einzige Einschränkung hatten sie sich dabei auferlegt, dass durch die Straftaten Kinder zu Schaden oder ums Leben gekommen sein mussten.
Sedersen war erst während der Diskussionen die Idee gekommen, das Gewehr, an dessen Fertigungsauftrag er mit Körvers und von Straelens Hilfe gekommen war, zur Vollstreckung zu benutzen. Während dieser Zeit war es seinem Ingenieur nämlich gelungen, die Pläne für das SG21 und die Spezialmunition, die trotz der geringen Abmessungen eine ausgefeilte Elektronik enthielt, buchstäblich unter den Augen der dafür verantwortlichen Offiziere und Geheimdienstleute der Bundeswehr zu kopieren. Deshalb verfügte er über einige Patronen mehr als die vier, die Körver eben weggepackt hatte.
Es zuckte ihm in den Fingern, auch diese Munition auf lebende Ziele abzuschießen. Beim letzten Mal hatte er in anderthalb Kilometern Entfernung auf einem Hügel gestanden
und sein Ziel dennoch so genau getroffen, als hätte er sein Opfer direkt vor dem Lauf gehabt. Bei der Erinnerung daran brauchte er alle Kraft, um ein gleichmütiges Gesicht aufzusetzen. Es war seine Waffe, und niemand, auch nicht Körver und von Straelen, würden ihn daran hindern, sie wieder einzusetzen.
Sedersen wusste, dass ausländische Geheimdienste ihm Unsummen für dieses Gewehr zahlen würden. Doch das Geld ersetzte ihm nicht die Macht, die ihm das SG21 verlieh. Es war einfach zu ärgerlich, dass Körver die Waffe aufbewahrte. Doch da die anderen darauf bestanden hatten, war es ihm unmöglich gewesen, sich zu sträuben. Nun fragte er sich, ob von Straelen und Körver ihm bereits damals misstraut hatten. Er war ein Narr gewesen, auf deren Forderung einzugehen, aber diesen Fehler würde er noch an
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