Die geheime Waffe
fahren und darauf vertrauen, rechtzeitig anzukommen, oder ich trete ein wenig aufs Gas. Dann müssen wir halt kurz vor dem Ziel eine Pause einlegen.«
»Ich hätte nichts gegen einen kurzen Aufenthalt in einem Rasthof. Durch Wagners Antreiberei bin ich nämlich nicht zum Abendessen gekommen.«
»Ich auch nicht«, erklärte Henriette und gab Gas.
Die ersten Kilometer legten sie schweigend und in ihre eigenen Gedanken verstrickt zurück. Dann ertappte Henriette sich dabei, dass sie die Hand zum Einschaltknopf des Autoradios ausstreckte. Sie zuckte zurück und wandte sich an ihren Beifahrer.
»Herr Oberleutnant, haben Sie etwas dagegen, wenn ich Musik höre? Im Augenblick geht es ja noch, aber später in der Nacht könnte ich das Radio brauchen, um wach zu bleiben.«
»Schalten Sie das Ding ruhig an.« Torsten antwortete einsilbig, denn sie hatte ihn gerade in seinen Überlegungen gestört.
Warum tut Wagner so geheimnisvoll?, fragte er sich. Weshalb schickte er sie auf eine Veranstaltung in den Niederlanden, zu der sonst nur Hochkaräter Zutritt hatten? War es Leutnant von Tarows wegen? Deren Vater war immerhin General gewesen, und für ihre weitere Karriere war ein Eintrag über die Teilnahme an diesem Symposion sicher von Vorteil.
Aber es war nicht Wagners Art, sich bei Freunden des alten Generals einzuschmeicheln, indem er dessen Tochter protegierte. Da steckte mehr dahinter. Aber was? Sosehr er auch grübelte, ihm fiel nichts ein. Gleichzeitig vibrierten seine Nerven vor Anspannung, wie er es sonst nur vor entscheidenden Situationen kannte. Da Torsten gelernt hatte, auf dieses Gefühl zu hören, strich er mit einer beinahe zärtlichen Geste über die Stelle seiner Jacke, unter der seine Sphinx 2000 AT im Schulterhalfter steckte. Auch wenn er die Pistole in Den Haag in den Hotelsafe sperren musste, sagte ihm sein Instinkt, dass er sie schon bald brauchen würde.
FÜNFZEHN
H enriette empfand die Fahrt als angenehm. Um die Zeit hatten die Lkws die Autobahn verlassen und standen bei Rasthöfen und auf den Parkplätzen. Auch der Pkw-Verkehr nahm mit jeder Stunde ab, und so kam sie zuletzt so gut vorwärts, dass ihnen genug Zeit blieb, eine Pause einzulegen.
Während sie Sandwichs aßen und Tee tranken, dachte Torsten, dass ihre Fahrt mehr einem Ausflug ähnelte als einer Dienstfahrt. Wollte Wagner vielleicht, dass Leutnant von Tarow und er sich auf dieser Reise besser kennenlernten? Sein Instinkt sagte ihm jedoch, dass etwas im Busch war. Was es sein konnte, würde er hoffentlich Wagners Mail entnehmen können.
Während des Essens behielt Henriette ihre Armbanduhr im Auge. Sie durften sich nicht zu lange aufhalten, sonst wurde die Zeit für die letzte Etappe knapp. Im Stillen amüsierte sie sich über ihren Begleiter. Sie konnte sich vorstellen, dass dieser Auftrag nicht gerade nach seinem Geschmack war. Gewohnt, in fremder Umgebung jederzeit auf einen Feind zu treffen, würde er nun drei Tage in einem Konferenzzentrum herumsitzen müssen und durfte nicht einmal seine Pistole mitnehmen.
»Wie sieht es aus? Können wir weiter?« Torsten war mit dem Essen fertig und sah seine Begleiterin an. Diese kaute noch auf dem letzten Bissen herum, stand aber sofort auf und räumte die Tabletts zusammen.
»Lassen Sie mich das machen, oder wollen Sie, dass mich alle für einen verdammten Chauvi halten? Wir sind schließlich in Zivil. Aus dem Grund sollten wir auch unsere militärischen Ränge außen vor lassen. Sie sind für mich Fräulein von Tarow …«
Henriette unterbrach ihn. »Wenn, dann bitte Frau von Tarow. Sie können auch das von weglassen. Die Zeiten, in denen es mehr Bedeutung hatte, als für die Illustrierten interessant zu sein, sind schon lange vorbei.«
»Also gut, Frau Tarow. Wollen wir aufbrechen?«
»Wie Sie wünschen, Herr … äh, Renk!« Es machte Henriette Spaß, Torsten ein wenig aufzuziehen. Es ließ ihn nicht ganz so überlebensgroß erscheinen.
Torsten brachte die Tabletts weg und verließ die Raststätte. Henriette folgte ihm und blickte zum Sternenhimmel hoch, der sich wie ein gewaltiges Zelt über das Land spannte. Es war eine stimmungsvolle Nacht, und sie hätte gern ihren Begleiter darauf aufmerksam gemacht. Aber dann würde er sie wahrscheinlich noch weniger ernst nehmen als bisher. Daher setzte sie sich ans Steuer, überprüfte die Entfernung, die sie noch zurückzulegen hatten, und startete den Wagen.
SECHZEHN
G enau fünf Minuten vor drei Uhr lenkte Henriette das Auto auf den
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