Die geheime Waffe
ihm und Rechmann. Vielleicht würde sich Themels Schicksal auch niemals ganz auflösen lassen. Sedersen schob den Gedanken an den Toten beiseite und überlegte fieberhaft, was er mit dem letzten Überlebenden machen sollte. Die Beerdigung wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit gewesen, Olböter zu beseitigen – wenn er nicht persönlich daran hätte teilnehmen müssen. Den Gedanken, sein Gewehr einem anderen – und sei es Rechmann – zu überlassen, konnte er jedoch nicht ertragen.
»Das hätte ich nicht von Friedmund gedacht. Nicht einmal einen Kranz hat er geschickt.« Olböter war zunehmend empört über die vermeintliche Pietätlosigkeit ihres Freundes.
Sedersen wurde das Thema zu heikel, und er versuchte, den alten Mann abzulenken. »Wollen wir im Anschluss in den Krug in der Nähe von Andreas’ Anwesen gehen? Dort haben wir schon so manches Mal zusammengesessen. Das würde ihm bestimmt gefallen.«
»Das wird das Beste sein. Treten wir ans Grab und nehmen Abschied von unserem Freund. Danach können wir fahren.«
»Ich kann dich mitnehmen, Jost«, bot Sedersen an.
Olböter schüttelte den Kopf. »Danke, aber ich habe meinen eigenen Wagen dabei.« Nach diesen Worten schlurfte er auf das offene Grab zu und blickte hinein. In dem Augenblick kam der Zufall Sedersen zu Hilfe. Eine der Frauen, die ebenfalls zum Grab wollte, stolperte und prallte gegen den alten Mann.
Dieser kippte nach vorne und stürzte mit einem kurzen Aufschrei in die offene Grube.
Zwar hatte Sedersen instinktiv noch den Arm ausgestreckt, um den anderen festzuhalten, aber dann so getan, als habe er ihn verfehlt. Er vernahm ein hässliches Knirschen, als Olböter mit dem Kopf voran gegen eine Kante des Sarges prallte, und starrte scheinbar erschrocken in die Tiefe.
»Jost, was ist mit dir?«
Der alte Mann rührte sich nicht.
Einige Augenblicke lang hielt der Schock die Anwesenden in den Klauen. Dann brach die Frau, die das Unglück verursacht hatte, in einen Weinkrampf aus, andere wichen Kreuze schlagend von der Grube zurück.
Sedersen hielt es für angebracht, die Initiative zu ergreifen, und winkte die Sargträger heran, die im Hintergrund standen. »He, ihr da! Könnt ihr in die Grube steigen und Herrn Olböter heraushelfen? Mein Gott, hoffentlich ist ihm nichts Ernsthaftes passiert!«
Hoffentlich doch!, dachte er. Als einer der Männer nach unten kletterte und untersuchte, ob man den Verunglückten herausheben konnte, ohne ihm noch weiteren Schaden zuzufügen, war er so angespannt wie selten in seinem Leben.
Nach einer längeren, kaum zu ertragenden Zeitspanne richtete sich der junge Mann, der im Hauptberuf Sanitäter war, auf und sah die Trauergäste verstört an. »Da ist nichts mehr zu machen. Der alte Herr hat sich das Genick gebrochen!«
Sedersen hörte im Geiste die Siegesfanfaren ertönen. Auch wenn es ihm Spaß gemacht hätte, Olböter ebenfalls zu erschießen, war dies die einfachste Lösung für seine Probleme. Daher hatte er Mühe, seine Erleichterung nicht zu verraten.
Zu seinem Glück achtete niemand auf ihn, denn die Unfallverursacherin bekam prompt einen hysterischen Anfall und schrie sich schier die Seele aus dem Leib. »Ich kann doch nichts dafür! Das habe ich wirklich nicht gewollt!«
»Man wird Sie schon nicht einsperren. Wir haben doch alle gesehen, dass es ein Unglück war«, erklärte Sedersen und sah demonstrativ auf die Uhr. »Es tut mir entsetzlich leid, aber ich muss weg. Mein nächster Termin lässt sich nicht verschieben. Ich werde natürlich zu Josts Beerdigung wieder zurück sein.«
Er nickte dem Pfarrer zu, der so bleich wirkte, als sei er selbst ins Grab gefallen, und verließ mit hängendem Kopf den Kirchhof. Als er seinen Wagen startete, tanzten die Gedanken in seinem Kopf, und er sagte sich, dass ihm die Vorsehung gewogen sein musste, sonst hätte sie ihn nicht auf eine so einfache Art von Olböter befreit. Von diesem Tag an wusste niemand mehr außer ihm von den Hütern der Gerechtigkeit. Mit einem befreiten Auflachen nahm er sein Handy heraus und rief Rechmann an. Der konnte ihm jedoch nur sagen, dass die Waggons mit den Containern noch immer in Aachen standen und darauf warteten, nach Belgien gebracht zu werden.
DREI
D ie Straße nach Breda führte endlos an riesigen Gewächshäusern vorbei, neben denen auffallend viele Autos mit portugiesischen Nummernschildern standen. Gelegentlich kam Torsten und Henriette ein Lkw entgegen, der Gemüse aus den Anlagen zu den Großmärkten
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