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Die geheime Welt der Frauen

Titel: Die geheime Welt der Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilana Stanger-Ross
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im Kopf herumging. Aber dann sah sie, wie er mit gebeugtem Kopf ihre Antwort erwartete, als mache er sich auf einen Schlag gefasst, und sie wurde milder
gestimmt. »Du hast recht«, gab sie zu, »ich habe dich ausgeschlossen. Aber zu sagen, ich hätte dich an dem Leid nicht teilhaben lassen - das lag nicht an mir. Wie hätte das an mir liegen können?«
    Lev riss an einer anderen Hecke eine Handvoll winziger Blätter ab.
    »Du hast dich abgewendet«, fuhr Sima fort, »dich nur für deine Arbeit, deine Schüler interessiert. Ich hab stundenlang auf die Uhr geschaut. Erinnerst du dich an diese blöde alte Uhr, die wir hatten, mit den gelben und orangefarbenen Ringelblumen auf dem Zifferblatt? Ich kann sie noch ganz deutlich vor mir sehen, während ich immer darauf gewartet habe, dass du heimkommst. Wenn du dann schließlich gekommen bist, warst du müde und zufrieden von deinem Arbeitstag, und ich hab bloß gedacht - wie viele Tage sind es bis zum Wochenende, bis wir beide unzufrieden sein können?«
    Sie überquerten die Straße und gingen um eine Ecke: Eine Autowerkstatt machte Reklame für Tuning, Wagen parkten in seltsamen Winkeln und ragten weit auf die Straße hinaus, vor der Eingangstür lag ein Stapel Winterreifen.
    »Es gab keinen Raum«, sagte Lev. »Es gab für mich keinen Raum zu trauern. Du warst so gequält, so tragisch, und ich hatte bloß das Gefühl - du hättest mir ohnehin nicht geglaubt, also wozu das Ganze?«
    Sie traten beiseite, um eine Familie vorbeizulassen - drei Mädchen, alle in den gleichen Kleidern, blauer Samt mit weißer Schärpe um die Taille. Die Mutter schob einen Kinderwagen, der Vater ging neben ihr her, schlank und blass, in einem dunklen Anzug. Sima sah sich um. Die Bäume begannen zu blühen, das Grün auf den Plätzen wurde intensiver, aber wann war all die Veränderung um sie herum passiert? Sie versuchte sich zu erinnern, wie es damals mit Lev gewesen war. Aber das
Einzige, was ihr einfiel, war ihr eigener Schmerz - und auch der nur als dunkler Raum in ihrem Innern, ein Elend, auf das sie nicht wirklich zurückblicken konnte, ohne sich davon abzuwenden.
    »Sima, verstehst du, was ich dir sagen will? Ich möchte bloß, dass du nach all der Zeit weißt, dass auch ich gelitten habe. Auch ich wollte Kinder. Du hast so getan, als wäre es mir egal, als hätte ich nie daran gedacht …«
    »Wieso sagst du das gerade jetzt, Lev? Warum hast du das nicht früher gesagt, damals, als es passiert ist? Erinnerst du dich an die Arzttermine - und du bist nie mitgekommen. Wenn du bloß einmal für mich da gewesen wärst, wenn du versucht hättest, mich zu verstehen …«
    Lev blieb stehen, drehte sich zu ihr um und zwang sie, ebenfalls stehen zu bleiben. Sie strich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr und trat von einem Bein aufs andere.
    »Das war ein Fehler, ich weiß. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich verhalten sollte, und außerdem hatte ich den Eindruck, dass du mich nicht dabeihaben wolltest. Also hab ich’s gelassen, weil’s einfacher war.« Er schwieg einen Moment. »Das ist keine Entschuldigung, Sima, ich will nur, dass du mich verstehst. Verstehst du, wie es für mich war? Ergibt das Sinn für dich?«
    »Wir waren beide so jung«, antwortete sie und dachte, wie seltsam, dass sie so lange gebraucht hatte, um eine so simple Wahrheit zu erkennen.
    »Wie Timna.«
    »Wie Timna.«
    Lev sah sie an. »Also ist es zu spät?«
    Sima dachte wieder an die alte Küchenuhr - gelbe und orangefarbene Blumen rund um das weiße Zifferblatt. Wann hatte sie sie schließlich weggeworfen? Und warum erinnerte sie sich
nicht, wie sie im Abfalleimer gelegen hatte, die Blumen halb verdeckt von Kaffeesatz und Gemüseschalen? »Lev«, sagte Sima und griff nach seiner Hand, die kalt und weich und kleiner war, als sie gedacht hatte, »es ist schon seit Langem zu spät, sodass Zeit wohl keine Rolle mehr spielt, glaube ich.«

April

28
    S ima wischte mit einem Lappen über ein ausgeräumtes Holzregal, während Timna den Boden mit einem Mopp wischte. Sie hatten den Frühjahrsputz so angesetzt, dass er mit den Vorbereitungen für das Pessachfest zusammenfiel. »Raten Sie mal, wen Connie zum Sederabend mitbringt«, fragte Sima und kratzte mit dem Fingernagel einen zähen Schmutzfleck in der Ecke weg.
    »Wen? Art?«
    »Nein, nicht Art. Aber - hab ich’s Ihnen erzählt? Sie haben sich neulich bei Starbucks auf einen Kaffee getroffen.«
    »Glauben Sie, dass sie ihn wieder aufnimmt?«
    Sima zuckte die Achseln.

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