Die geheime Welt der Frauen
Mineralwasser eingoss. »Irgendwas Neues?«
Seit ihrem Streit im Laden und der Berührung, zu der es danach kam, fühlte sie sich ihm gegenüber gehemmt, gegenüber ihrem Ehemann seit sechsundvierzig Jahren. Sie verarbeitete diese Hemmung auf die einzige Art, die ihr möglich war. »Was hast du den ganzen Nachmittag gemacht?«, fragte sie. »Einfach dagesessen und Zeitung gelesen?«
Lev blickte auf, und sie wandte sich schnell ab. Sie stellte sich vor, wie Timna den Kopf schüttelte und spürte deren Missbilligung. Aber Lev zuckte nur mit den Achseln. »Also immer noch kein Wort von Timna, was?«, fragte er.
Sima lächelte, ihr war bewusst, dass sie sich nicht besonders gut verstellt hatte, aber dass ihr vergeben worden war. »Nichts«, bestätigte sie, »und ich hab’s aufgegeben, Andeutungen zu machen.« Sie setzte sich an den Tisch und umschloss ihr Glas mit beiden Händen. »Ich sag dir was, Lev, vielleicht hab ich mir die ganze Zeit was vorgemacht. Ich sollte in eine Anstalt gebracht, in eine Zwangsjacke gesteckt werden.«
»Sie stecken dich bloß in eine Zwangsjacke, wenn du anfängst, Schaum vorm Mund zu kriegen.«
Sima lachte. »Ich weiß nicht«, antwortete sie und fuhr mit einem Finger den Rand ihres Glases entlang, »egal wie sehr man jemanden auch liebt, gibt es trotzdem Dinge, die man nicht wissen darf.« Sie blickte zu Lev hinüber und zwang sich zu einem Lächeln. »Liest du immer noch?«
Lev schüttelte den Kopf.
»Es ist ein herrlicher Tag. Vielleicht sollten wir einen Spaziergang machen? Ein bisschen Sonne tanken?«
Anfangs war es schwierig für sie beide, miteinander Schritt zu halten - es war so lange her, dass sie gemeinsam irgendwohin gegangen waren, einfach nur zum Spaß, statt vom Auto in ein Restaurant oder mit Einkaufstüten nach Hause zu hasten. »Wohin geht ihr?«, fragte eine Nachbarin und blieb stehen, um sie vorbeizulassen. Sima zuckte die Achseln, sagte etwas über die Sonne und den Frühling, woraufhin die Nachbarin ihren Blick an Lev rauf und runter gleiten ließ, offensichtlich um abzuschätzen, ob er vielleicht krank war und sie noch nichts davon mitbekommen hatte.
Sie schlenderten stille Straßen mit rechteckigen Backsteinhäusern entlang, vorbei an den jüdischen Schulen - rot oder gelb gekachelte Gebäude mit dunklen Erkerfenstern und großen Höfen, wo es nachmittags ruhig war -, und an dem alten Eckladen mit den verblichenen Reklameschildern: Te-Amo-Zigarren und Breyers-Eiscreme und Milch. Sima erzählte ihm von Timna, was Dottie heute gesagt und wie glücklich Timna ausgesehen hatte, wie schön. »Es ist ja nicht, dass ich mich nicht für sie freuen würde«, sagte Sima, »aber ich hab immer noch das Gefühl, wenn ich ihr doch nur hätte helfen können …«
»Aber du hast doch geholfen. Sie ist wieder mit Alon zusammen, vielleicht deinetwegen.«
»Vielleicht hast du recht«, antwortete Sima, ohne zuzugeben, wie sehr sie hoffte, dass dies zutraf, wie sehr sie hoffte, ihre Liebe habe dabei eine Rolle gespielt.
Schweigend gingen sie ein paar Blocks weiter, Sima in Gedanken über Timna verloren - ob Shai wohl auch mit im Theater war, und ob die beiden wohl über sie sprachen? Als sie an einer Kindertagesstätte vorbeikamen - Plastikspielzeug lag auf der Vordertreppe, daneben ein verwittertes Schild mit Cartoon-Figuren -, räusperte sich Lev. Sima sah ihn an, wurde sich plötzlich des Schweigens zwischen ihnen bewusst und hatte Angst, was er sagen könnte.
»Sima«, begann Lev, »was du vorhin gesagt hast, dass wir vielleicht nicht alles wissen sollen, nicht einmal über Leute, die uns am nächsten stehen …«
Sima schlug einen schnelleren Schritt an, als könnte sie vor der Unterhaltung davonlaufen. Ihr Magen verkrampfte sich vor Angst. Nicht schon wieder, dachte sie, ich kann das nicht noch einmal.
»Alles, was passiert ist, damals und jetzt …«
Sie nickte, musste nicht fragen, wann.
»Die Art, wie ich damals ausgeschlossen wurde.« Lev zupfte an einer langweiligen grünen Hecke, ein paar Blätter segelten langsam zu Boden. »Es ist, als hättest du die ganze Schuld übernommen für das, was geschehen ist, aber auch das ganze Leid. Du hast nicht zugelassen, dass ich mit dir trauere. Du hast geglaubt, dass ich dazu nicht imstande wäre.«
Sima war wütend. Sie überquerte ein, zwei, drei Gehwegplatten, bevor sie antwortete. »Lev«, sagte sie, »ich hab nie …« Sie drehte sich zu ihm um, wütend, dass er sie bedrängte, wo ihr doch ohnehin schon so viel
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