Die geheime Welt der Frauen
der Mitte geknickt wurde. In ihm tobt es auch, dachte sie. Sie waren wie Kinder im Schulhof, die einander umkreisten, zuschlagen wollten, aber Angst hatten, als Erste anzufangen, sich zu exponieren.
»Ach, Sima.« Lev schüttelte den Kopf und blickte auf die Tabelle hinab. »Ist es nicht völlig sinnlos«, fragte er und strich die Tabelle glatt, »unser Leben zu vergeuden, bloß weil wir keine Kinder bekommen konnten?« Er ging zum Bett hinüber und setzte sich. »Es war nicht unsere Schuld«, fuhr er fort und legte die Hand auf das Bett zwischen ihnen, »wir haben nicht versagt. Sieh dir Art und Connie an, was sie alles hatten, und jetzt ist doch alles aus. Wir haben wenigstens immer noch uns - zählt das denn gar nicht?«
Ihre Wut löste sich auf durch seinen ruhigen Protest, aber die Leere, die sie zurückließ, machte ihr mehr Angst als die Wut. Sie dachte daran, wie Art Connie, wie Timna Alon verlassen hatte. Die Trennung wurde so leicht vollzogen, als stieße man sich vom Beckenrand ab und schwämme mit kräftigen Zügen ins Freie. Auch sie wollte frei sein.
»Warum diese Bestrafung, Sima? Warum all das …?«
Sima ballte die Fäuste, es reichte. »Lev«, sagte sie. »Lev.« Mit verkrampftem Gesicht zog sie sein Kissen an sich, als sie sich zur Seite drehte, und drückte es an den Körper. »Lev.« Selbst jetzt überlegte sie noch innezuhalten, einen Rückzieher zu machen, aber sie war wie eine Comic-Figur, die wusste, dass sie fallen musste, nachdem sie sich so weit hinausgewagt hatte. »Es war meine Schuld«, sagte sie und sprach dabei mehr ins Kissen als zu ihm. »Es war meine Schuld.«
»Nein, Sima«, erwiderte Lev und legte die Hand auf ihr Knie. »Das habe ich nie gedacht, kein einziges Mal. Diese Dinge passieren einfach, sind einfach Pech. Du weißt, dass ich dir nie die Schuld dafür gegeben habe.«
Mit ruhiger Stimme antwortete Sima: »Ja. Ich weiß, du hast mir nie …«
»Die Schuld dafür gegeben.«
Sima nickte. »Aber die Sache ist die …« Sie sah Lev einen Moment lang an und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Sie rieb sich die Augen, blickte wieder auf und holte tief Luft. »Lev, es war meine Schuld. Ich war steril wegen einer Krankheit, die ich …«, sie schwieg einen Moment, »… von einem anderen Mann hatte.«
Lev schüttelte den Kopf. »Nein, das ergibt doch keinen … Was redest du denn da, Sima?«
»Als ich sechzehn war«, sie biss sich auf die Lippe, und ihr Gesicht verzerrte sich. »O Gott, ich war so jung. Ich war Betreuerin in einem Ferienlager, und da war dieser Junge …«
»Ein Junge?«
»Ein Junge. Er war achtzehn. Ich dachte, er sei ein Mann. Aber er war bloß ein Junge. Ich brauchte Jahre, um ihm zu vergeben, aber jetzt verstehe ich, wie jung er war.«
»Um ihm was zu vergeben, Sima?«
»Lev, ich konnte kein Baby bekommen, weil meine Eileiter vernarbt waren.«
»Ich weiß.«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Weißt du, du hast nie gefragt, warum. Die ganze Zeit, als ich diese Tests machte, hast du nie gefragt, woher diese Narben kamen.«
Lev sah sie an und erwiderte nichts. Er zog die Hand zurück und legte sie sich auf den Bauch.
»Wir hatten bloß einmal miteinander geschlafen. Aber wie man uns im Aufklärungsunterricht sagte, es braucht nur ein einziges Mal und …«
»Und was, Sima, was?«
»Es ist so dumm, weißt du? Ein Mal. Ein …« Sie hielt inne
und fuhr mit schwankender Stimme fort. »Bloß ein verdammter Fehler, als ich sechzehn war, und ich konnte keine Kinder mehr bekommen. Einfach so, einfach so.«
Lev sah auf den dicken, pinkfarbenen Teppich hinab, auf dem die Abdrücke seiner Schritte noch sichtbar waren. »Du hast mit jemandem geschlafen, wolltest du das sagen?«
Sima nickte.
»Vor mir?«
»Bevor ich dich kennenlernte.«
»Und er hat dich mit einer Krankheit angesteckt?«
Sie nickte.
»Und deshalb …«
»Bin ich unfruchtbar geworden. Weil meine Eileiter vernarbten.« Dieser Teil, seine Fragen zu beantworten, war leicht. Sie hoffte, er würde weiterfragen, bis alles gelöst und weggesteckt war.
Stattdessen schüttelte Lev den Kopf und stand auf.
Sima bekam plötzlich Angst. Er konnte nicht weggehen - sie konnte es nicht ertragen, allein zu bleiben, auf dem Bett zurückgelassen zu werden mit der trügerischen Wärme der Wintersonne, die Lichtdreiecke auf die Steppdecke warf, und nicht einmal fähig, aufzustehen und die Vorhänge zuzuziehen, das Licht auszusperren. Was sie wollte, war nicht Freiheit, sondern Vergebung. Sima
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