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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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kannst …«
    Nelson am Zügel führend, ging Daniel weiter. Es war sinnlos, Harry zu erklären, daß seine Erziehung zu nichts geführt, schlimmer noch, daß sie ihm Möglichkeiten aufgezeigt hatte, die absolut unerreichbar für ihn blieben. Genauso sinnlos war es, Harry zu erklären, daß er vermutlich die letzte Person war, auf die Nicholas Blythe hören würde. Doch es war offenkundig, welche Überwindung es Harry gekostet hatte, ihn darum zu bitten. Er konnte ihm diesen Gefallen nicht abschlagen.
    Â»Ja, sicher«, antwortete er. »Ich werde tun, was ich kann.«
    Nicholas erhielt einen weiteren Brief von Max. Der Inhalt des Briefes ließ sein Herz schneller schlagen, und auf seiner Stirn brach Schweiß aus. Als sein zitternder Finger die Zahlenreihe auf dem beigelegten Blatt hinabwanderte, wollte er anfänglich nicht glauben, was er sah. Jedenfalls waren es zu viele Nullen.
    Dieser Brief konnte nicht wie die anderen in die hintere Schublade gestopft werden. Er holte die alte Karte von Drakesden aus dem Safe und starrte auf die geschlängelten schwarzen Linien des Flusses und das Gewirr der Deiche und Gräben. Aber er konnte keine Entscheidung fällen. Seine Gedanken waren nicht klar.
    Es klopfte an der Tür. Nicholas sah auf, erleichtert über die Unterbrechung. »Ja, Hawkins?« Seine Stimme klang trocken und heiser.
    Â»Da ist ein … Herr, der Sie sprechen möchte, Sir Nicholas.«
    Â»Wer ist es, Hawkins?«
    Â»Mr. Gillory, Sir.«
    Nicholas starrte den Butler an. In scharfem Ton fragte er: » Daniel Gillory?«
    Â»Ja, Sir. Er ließ sich nicht abweisen, Sir.«
    Er wollte antworten: »Werfen Sie ihn raus. Ich erlaube nicht, daß er meinen Grund und Boden betritt.« Aber wenn er hierblieb, in diesem Raum, im Arbeitszimmer seines Vaters, mußte er sich mit dem Brief, der Karte und der Entscheidung auseinandersetzen, die es zu fällen galt. Plötzlich fragte er sich, ob Daniel Gillory vielleicht davon wußte ? Dienstbotentratsch vielleicht … Er verbarg seinen inneren Unwillen und folgte dem Butler nach unten.
    Es war Daniel schwergefallen, an diesem Morgen nach Drakesden Abbey zu gehen und am Dienstboteneingang des Hauses anzuklopfen. Er trug seine besten Kleider, den Anzug, in dem er geheiratet hatte, aber keinen Hut, weil er es nicht ertragen hätte, den Hut vor Nicholas Blythe zu ziehen. Sich weiter zu erniedrigen, als beim Dienstboteneingang statt an der Vordertür anzuklopfen, brachte er nicht über sich. Als er in einem der schlichteren Räume im Erdgeschoß wartete, zwang er sich, sich auf die Gegenwart, nicht auf die Vergangenheit zu konzentrieren.
    Dann führte der Butler Nicholas Blythe herein. Daniel bemerkte sofort, daß er alles falsch gemacht hatte: Nicholas trug ein gutgeschnittenes Tweedjackett und eine Hose, deren gedeckte Farben mit einem gestrickten Pullunder kontrastierten. Daniel, der nie viel Gedanken auf Kleidung verschwendet hatte, erkannte seinen eigenen Aufzug sofort als das, was er war: der schlechtsitzende Anzug eines Buchhalters, gleichzeitig ausgebeult und zu eng, immer an den falschen Stellen. Der Butler wartete in einer Ecke des Raums. Als wäre er gefährlich, dachte Daniel. Als müßte man ihn im Auge behalten.
    Â»Ja, Gillory? Was wünschen Sie? Ich hab nicht viel Zeit.« Wie Daniel erwartet hatte, war Nicholas’ Stimme eisig.
    Â»Ich bin nicht meinetwegen hier, Sir Nicholas. Ich bin im Namen einiger Dorfbewohner – Ihrer Pächter und Arbeiter – hier. Sie haben mich gebeten, mit Ihnen zu sprechen.«
    Â»In welcher Angelegenheit, Gillory?«
    Â»Wegen der Mieten und Löhne. Sie haben die Mieten angehoben und die Löhne gekürzt. Diese Leute leben von der Hand in den Mund. Ihr Spielraum zum Überleben ist wahrhaftig gering genug – jede Art von Einkommensverlust ist verhängnisvoll für sie.«
    Nicholas hatte sich in einen der Sessel gesetzt. »Und?«
    Â»Deshalb frage ich Sie, ob Sie es sich noch einmal überlegen könnten. Ob Sie in Erwägung ziehen könnten, die Löhne auf den Stand von vorigem Jahr anzuheben.«
    Nicholas schwieg einen Moment. Seine Finger spielten unablässig mit den Quasten am Sesselrand. »Ich bin sicher, daß Ihnen bekannt ist, Gillory, daß die Löhne ungewöhnlich hoch angestiegen waren. Ich bin nur zum Vorkriegsstand zurückgekehrt. Dem angemessenen

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