Die geheimen Jahre
Leitstern, der über die Fens leuchtete. Er blieb stehen, sah lange hinüber und wünschte, die Lichter würden verlöschen und Drakesden Abbey würde wieder in Dunkelheit tauchen.
Aber sie verloschen nicht. Die vielen hellen Lichtquadrate blieben unerschütterlich und unnatürlich hell bestehen und veränderten für immer das Bild, das er seit seiner Kindheit kannte. Von weitem konnte er Musik und Lachen hören und in den groÃen Lichtinseln die glitzernden Gestalten auf dem Rasen erkennen. Als er auf sein Cottage blickte und den schwachen Kerzenschein durchs Küchenfenster sah, fühlte er sich einen Moment lang vollkommen geschlagen und hoffnungslos.
Er begann, am schlammigen Rand des Deichs entlangzugehen. Vor einer Woche war der Schnee geschmolzen, und seitdem hatte starker Regen eingesetzt. Doch jetzt war der Nieselregen nur noch feuchter Nebel, der sich auf Gesicht und Haar legte. Im Licht seiner Laterne erkannte er, daà das Wasser im Deich stark gestiegen war. Als er die Grenze seines Lands erreichte, hob er die Laterne und sah den schlechten Zustand der Befestigungen und wie gefährlich hoch das Wasser am oberen Rand des Erdwalls stand. Nicholas Blythe hatte offensichtlich genügend Geld, um auf Drakesden Abbey Elektrizität zu legen, aber nicht genug, um sein Land zu befestigen oder den Leuten, die für ihn arbeiteten, mehr als ein Trinkgeld zu bezahlen.
Als er zum Cottage zurückging, schmatzte der durchnäÃte Torf im Hinterhof unter seinen FüÃen. Drinnen stellte er die Stühle auf den Tisch, rollte die Teppiche zusammen und legte sie neben die Stühle. Zwischen den Ziegeln sah er bereits das schwarze Wasser glänzen. Wir hausen wie Tiere, dachte er wütend. Wie Tiere.
Die Gäste reisten ab, und Nicholas vertiefte sich in seinen neuen Plan, Warmwasserleitungen in der Abbey zu installieren. Thomasine gab Haushaltsvorräte aus, besprach mit Mrs. Blatch die Menüs und bewirtete verschiedene lokale Honoratioren und deren Gattinnen bei Mittagessen und Teeeinladungen. Verärgert über die Banalität ihres täglichen Lebens unternahm sie â den geschwollenen Leib in einen alten Samtabendmantel gehüllt, der einst Marjorie Blythe gehört hatte â lange Spaziergänge am Nachmittag.
Auf einem dieser Spaziergänge traf sie Daniel. Sie war über die Rasenflächen der Abbey und über die Koppel zum Deich gewandert. Den Hang des Deichs kletterte sie nicht hinauf, aus Angst, auf dem glitschigen Gras den Halt zu verlieren. Der Tag war grau, die Landschaft eintönig. Energischen Schrittes ging sie am Fuà des Deiches entlang, vorbei an den Ländereien der Abbey. Dicke Erdklumpen klebten an ihren Galoschen, die Luft war klar und kalt, aber nach der stickigen Abbey um so belebender.
Als sie aufblickte, erkannte sie ihn sofort. Das blonde, vom Wind zerzauste Haar, den kräftigen, gutgeformten Körper. Diese Felder hatten einst zur Abbey gehört. Mit unverhohlenem Zorn hatte ihr Nicholas erzählt, durch welch üblen Trick es Daniel Gillory gelungen war, seinen Vater dazu zu bringen, ihm Abbey-Land zu verkaufen. Thomasine erkannte keinen Trick darin, nur die Art von Geschäft, die im Dorf seit Jahrzehnten üblich war. Aber sie wuÃte, daà Nicholas bei allem, was Daniel Gillory anging, irrational reagierte.
Daniel zupfte Unkraut aus den Ackerfurchen. Sein Land war bereits von einem Hauch von Grün überzogen, während die angrenzenden Felder der Abbey noch gänzlich schwarz waren. Thomasine blieb einen Moment auf der Grenze zwischen den beiden Feldern stehen und rief dann seinen Namen.
»Daniel? Daniel â hallo!«
Sie erwartete, daà er sie anlächeln und zu ihr herüberkommen würde. Statt dessen drehte er sich langsam um und richtete sich auf. Sie war ihm nahe genug, um zu erkennen, daà nicht einmal der Anflug eines Lächelns seinen Mund umspielte, daà er nicht die geringsten Anstalten machte, auf sie zuzugehen.
Er machte eine Art spöttischer Verbeugung. Wenn er eine Mütze aufgehabt hätte, dachte Thomasine wütend, hätte er sie mit einer verächtlichen Bewegung gezogen.
»Euer Ladyschaft«, grüÃte er sie. Dann wandte er ihr den Rücken zu und machte sich wieder an seine Arbeit.
Einen Moment lang blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte ihn an. Dann zog sie ihren Umhang enger um sich und ging rasch entlang der Grenze zwischen den
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