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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nicht sprechen. Sonnenlicht strömte durchs Fenster und beleuchtete die Teppiche, die Möbel, die elektrischen Lampen. Durch das leicht geöffnete Fenster wehte der Wind herein und bauschte die Vorhänge. Schließlich sagte Daniel: »Die Flut könnte abgehalten werden – ein kleiner Einsatz jetzt, und wir müßten nicht befürchten …«
    Â» Ich befürchte nichts. Es kümmert mich nicht im geringsten.«
    Daniel, der nur mühsam Ruhe bewahrt hatte, begann die Fassung zu verlieren. »Sind Sie dort gewesen? Schauen Sie sich Ihren riesigen Grundbesitz je an? Sind Ihnen die Kaninchenhöhlen, die die Wälle auf Ihrem Land untergraben, aufgefallen, der erbärmliche Zustand der Wege? Mein Gott, Sie haben Geld für elektrisches Licht – für irgendwelchen Unsinn, den Sie da draußen bauen …« Er gestikulierte wild in Richtung Fenster. Ein brauner Graben zog sich durch das Grün des vorderen Rasens. Zwanzig Arbeiter in genagelten Stiefeln und schmutzigen Kordhosen schufteten für Nicholas Blythe. Daniel holte tief Luft. »Ich bin heute morgen hergekommen, weil ich dachte, wir könnten vernünftig miteinander reden – wir könnten diese Dinge wie Gentlemen regeln.«
    Â»Gentlemen?« Der Hohn war jetzt unverkennbar.
    Die Verachtung, die Daniel so viele Jahre empfunden hatte, kam plötzlich mit ganzer Macht zurück. Eine Verachtung nicht für Nicholas Blythe persönlich, sondern für alles, was er und seine Familie repräsentierten.
    Â»Gleichgültig, was Sie von mir halten, aber würden Sie das ganze Dorf opfern wollen? Verstehen Sie überhaupt, was hier vor sich geht? Begreifen Sie, daß das Moor jedes Jahr weiter absinkt – schneller sinkt, seitdem Motorpumpen installiert wurden – und daß schließlich eine furchtbare Überschwemmung unvermeidlich ist? Begreifen Sie, daß falls – wenn – dies passiert, nicht nur mein Haus und mein Land überschwemmt werden, sondern auch die beiden Häuser an meiner Zufahrt und vielleicht das halbe Dorf?«
    Â»Das ist Ihre Meinung, Gillory – die niemand teilt«, antwortete Nicholas kalt. »Es ist nicht die Meinung der Deichinspektoren.«
    Â»Die Deichinspektoren«, zischte Daniel wütend, »haben Sie doch in der Tasche.«
    Nicholas wurde bleich. »Hawkins. Würden Sie bitte Robert holen?«
    Daniel hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Dieser Raum, dieses Haus erstickten ihn.
    Nicholas sagte: »Ich verbiete Ihnen, den Fuß auf mein Land zu setzen, Gillory. Meine Gräben, meine Befestigungen und Wege zu betreten. Es ist mein Land, vergessen Sie das nicht, und es wird immer mein Land bleiben. Ich werde Sie wegen Hausfriedensbruch verklagen, wenn Sie auch nur einen Grashalm davon berühren.«
    Der Butler kehrte zurück, begleitet von einem Lakaien. Nicholas sagte: »Werfen Sie ihn raus, Hawkins«, und die beiden Männer packten Daniel und zerrten ihn aus dem Raum.
    Anfänglich wehrte er sich nicht, schließlich aber doch. Vollkommen nutzlos natürlich. Er zog eine gewisse Befriedigung daraus, dem Mistkerl Hawkins das blasierte Lächeln vom Gesicht zu wischen, und den Lakaien, den er aus der Grundschule kannte, keuchend auf den Boden sinken zu sehen. Aber dann kamen ein halbes Dutzend weitere Männer hinzu, die ihn durch den Garten bis zur Mauer schleppten und zum Tor hinauswarfen.
    Sein Mund war voller Blut, und seine Kleider waren zerrissen und beschmutzt. Die Blythes widerten ihn an, er widerte sich selbst an. Er rappelte sich hoch und begann, den Hügel hinunterzugehen. Er hatte nichts erreicht.
    Nicholas ging nach oben ins Arbeitszimmer. Dort setzte er sich an den Schreibtisch, vergrub den Kopf in den Händen und dachte nach. Er war froh, daß Thomasine nicht zu Hause war und diese häßliche Szene miterlebt hatte. Aber er wußte jetzt, daß Daniel Gillory keine Ahnung von der prekären finanziellen Lage der Abbey hatte. Er machte sich klar, daß seine vorherigen Befürchtungen töricht gewesen waren. Nur Nicholas allein – nicht einmal Thomasine oder Mama – wußte über den Inhalt des Papiers auf seinem Schreibtisch Bescheid.
    Damit mußte er sich jetzt beschäftigen. Er schloß die Augen und tippte mit dem Zeigefinger auf die ausgebreitete Karte. Dann sah er darauf. Der Finger ruhte auf der östlichen Seite des Dorfes und der Hälfte von Burnt

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