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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Kind geboren worden war. Es hatte ihr gefallen, das kleine Würmchen in den Händen zu halten, die Wärme des zarten Körpers zu spüren.
    Â»Niemand verlangt von dir, dein Kind zu vernachlässigen, Thomasine. Aber ich muß darauf hinweisen, daß du jetzt die Herrin von Drakesden bist und gewisse Pflichten hast. Diese Pflichten haben Vorrang vor Windelnwechseln und Babykleidern waschen – vor Dienstbotenarbeit. Eine tüchtige Nanny wird dir die eher lästigen Seiten der Mutterschaft ersparen. Sie wird dir gestatten, dich um deine eigenen Pflichten zu kümmern.«
    Teepartys und Einladungen zum Lunch, dachte Thomasine wütend. Langweilige Hauspartys und viel zuviel Zeit zum Däumchendrehen und sich zu fragen, was um alles auf der Welt man als nächstes tun könnte.
    Sie sagte nichts, spürte aber, daß ein hartnäckiger Widerstand in ihr aufzukeimen begann. Als Lady Blythe ihre Hand tätschelte, empfand sie die Berührung als eisig kalt.
    Â»Du wirst sehen, daß ich recht habe, meine Liebe.«
    Der Frühling kündigte sich launenhaft an, rasch wechselten sich Sonnenschein und Schauer mit kaltem, tosendem Wind ab. Eines Abends, als sie über die Felder zurückgingen, zog Harry Dockerill ein Stück zerknittertes Zeitungspapier aus der Tasche und zeigte es Daniel.
    Es war der Ausschnitt seines Artikels über das südliche Deichland, der vergangene Woche erschienen war. »Annie Hayhoes Vater hat ihn mir gezeigt. Wir haben nicht gewußt, daß du berühmt bist.«
    Daniel schnaubte. »Ich geb die Farmarbeit noch nicht auf, Harry. Es ist der Ely Standard , nicht die Times .«
    Dennoch war er mächtig stolz gewesen, als der Brief eintraf, der ihm von der Annahme seines Artikels berichtete und einen Scheck enthielt. Obwohl der Betrag klein war, konnte er ihn gebrauchen, und die Aufforderung, weitere Artikel über ähnliche Themen zu schreiben, hatte ihm das Gefühl gegeben, etwas geleistet zu haben.
    Er bemerkte, daß Harry, der nicht zu den Wortgewandtesten zählte, etwas sagen wollte.
    Â»Was ist, Harry?«
    Harry blieb am Feldrand stehen und strich sich über den Bart. »Also, die Sache ist die … Ein paar von den Jungs haben sich gedacht …«
    Â»Na los, Harry, heraus damit. Hier sind nur Nelson und ich.«
    Die Sonne breitete ein großes Purpurband über den Horizont und zeichnete lila- und rosafarbene Streifen über die schwarzen Ackerfurchen.
    Harry sagte: »Du weißt, daß Annies Schwester ihre Kleine verloren hat?«
    Daniel nickte. Annie war Harrys Liebste, ihre Schwester Rose ein dürres kleines Ding mit einer Schar unterernährter Kinder. Das kleinste Mädchen war vergangene Woche an einem Fieber gestorben.
    Â»Sie konnte sich keinen Arzt leisten, verstehst du. Sie kränkeln ständig. Ma sagt, es ist die Luft von den Sümpfen.«
    Daniel dachte, daß die Krankheiten der Familie wahrscheinlich mit dem Mangel an gesundem Essen und ihren elenden Wohnverhältnissen zusammenhingen, aber er sagte: »Es hat mir leid getan, als ich von dem kleinen Mädchen hörte. Hoffen wir, daß es ein Einzelfall war. Aber wenn irgendein anderes von den Kindern krank werden sollte, kann ich Rose zehn Shilling für den Arzt leihen.«
    Harrys gebräuntes Gesicht wurde blutrot. »Darum geht’s nicht, Daniel. Du weißt, daß Rose nie … Es ist nur, daß sie sonst immer über die Runden gekommen sind, aber jetzt nicht mehr.«
    Die Grenze zwischen Auskommen und Elend war sehr schmal und rasch überschritten. Daniel sagte: »Geht es um das Neugeborene?«
    Harry schüttelte den Kopf. »Nein, darum, daß der Gutsherr die Löhne gekürzt hat. Davor ist Rose immer zurechtgekommen.«
    Daniels Blick verfinsterte sich. Die großen flammenden Strahlen der Sonne verschwanden, und das Land nahm wieder die üblichen tristen Töne an. »Das wußte ich nicht«, antwortete er zögernd. »Haben die Blythes allen Arbeitern die Löhne gekürzt?«
    Harry nickte. »Und die Mieten angehoben. Und ein paar der Jungs haben gedacht …«
    Â»Spuck’s aus, Harry.«
    Harry hielt noch immer den Zeitungsausschnitt in der Hand. »Ein paar von den Jungs haben gedacht, ob du mal mit dem Gutsherrn reden könntest. Nachdem sie gesehen haben, was du da geschrieben hast. Und weil du aufs Gymnasium gegangen bist und gut reden

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