Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
Stand.«
    Daniel erwiderte ruhig: »Aber die Preise sind nicht zum Vorkriegsstand zurückgekehrt.«
    Â»Preise spielen für diese Leute keine besondere Rolle. Sie kaufen nur einen geringen Teil ihrer Lebensmittel im Laden ein. Das wissen Sie doch sicher, Gillory?«
    Daniel wußte, daß er hinzufügen wollte: Du kommst doch selbst aus primitiven bäuerlichen Verhältnissen.
    Â»Sie essen ihre eigenen Produkte, weil sie sich sonst nichts leisten können«, sagte er. »Deshalb ist ihre Ernährung vollkommen unzureichend, deshalb sind sie so schlecht gekleidet. Deshalb können sie keine Arzthonorare zahlen, und deshalb sterben ihre Kinder jedes Frühjahr an Fieber und Infektionen.«
    Nicholas erwiderte kalt: »Ich hoffe, Sie machen mich nicht für die Rate der Kindersterblichkeit verantwortlich.«
    Â»Sie haben eine Verantwortung.«
    Nicholas seufzte. »Die Kinder sterben, weil ihre Eltern dumm und unwissend sind. Weil sie jedes Jahr ein Balg in die Welt setzen, ungeachtet ihres Einkommens, und weil sie ihr Geld für Bier statt für Medikamente ausgeben.«
    Diesmal war die Herausforderung in Nicholas Blythes Augen unverkennbar. Tausend Antworten, allesamt beleidigend, schossen Daniel durch den Kopf. »Besuchen Sie je eines Ihrer verpachteten Cottages?« fragte er vorsichtig. »Sehen Sie sich je an, wie Ihre Pächter leben? Ist Ihnen bewußt, daß die meisten der Cottages – der Cottages, die Ihnen gehören – jedes Frühjahr überschwemmt werden und daß sie wegen der Feuchtigkeit mit Insekten und Parasiten verseucht sind? Haben Sie sich je überlegt, wie Sie unter solchen Bedingungen zurechtkommen würden?«
    Er sah, wie Nicholas für den Bruchteil einer Sekunde zusammenzuckte. Ein Zucken der Augen, und einen Moment lang hielten die Finger beim Spiel mit den Quasten inne. Rücksichtslos nutzte Daniel seinen Vorteil.
    Â»Und sind Sie sich über den Zustand des Landes bewußt, das Ihnen gehört? Daß der beklagenswerte Zustand Ihrer Deiche und Gräben mit dazu beiträgt, das Dorf zu überschwemmen?«
    Â»Soll ich ihn hinausbegleiten, Sir Nicholas?« hörte er den Butler sagen. Aber Nicholas hatte sich erhoben und war auf ihn zugegangen.
    Â»Ah.« Nicholas Augen glitzerten kalt. »Das habe ich mir gedacht. Jetzt kommen wir zum wahren Grund dieses Gesprächs. Ich hab mir schon gedacht, daß Sie nicht aus reiner Nächstenliebe hier vorbeigekommen sind, Gillory.«
    Daniel kniff die Augen zusammen. »Was soll das heißen …?«
    Â»Das soll heißen, daß mich vor einiger Zeit einer der Deichinspektoren aufgesucht hat … Haben Sie mit ihnen gesprochen, Gillory?«
    Ruhig erwiderte er: »Ich habe während des vergangenen Jahres einige Male mit den Deichinspektoren gesprochen. Ich habe sie auf den schlechten Zustand der Befestigungen und Gräben in Drakesden und auf die daraus entstehende Gefahr einer Überschwemmung hingewiesen.«
    Nicholas war inzwischen ans Fenster getreten. Er schob den Vorhang beiseite, starrte in den Garten hinaus und drehte sich dann wieder zu Daniel um. »Sie haben vier … fünf Hektar?«
    Â»Siebeneinhalb«, antwortete Daniel. Was du verdammt gut weißt, dachte er wütend.
    Â»Ah. Man braucht zehn, nicht wahr, um Deichinspektor zu werden?«
    Daniels Fäuste waren geballt. »Ja.«
    Â»Dann haben Sie keine Stimme.«
    Es war eine bloße Tatsachenfeststellung, aber Daniel konnte den Triumph in Nicholas Blythes finsterem Blick sehen.
    Â»Ich kann noch nicht Deichinspektor werden, nein. Aber ich kann mit Leuten reden – ihnen schreiben.«
    Â»Natürlich. Der Gymnasiast.« Nicholas’ Lippen kräuselten sich.
    Es folgte eine kurze, angespannte Pause. Dann machte Daniel einen letzten heldenhaften Anlauf: »Ich hatte keinen Erfolg bei den Deichinspektoren. Ihre Geldmittel sind knapp – die Regierung schenkt so abgelegenen Landesteilen wie den Fens wenig Aufmerksamkeit. Wenn die Deiche brechen, dann wird Ihr Land zusammen mit dem meinen überschwemmt, Sir Nicholas. Wir haben ein gemeinsames Interesse.«
    Nicholas lächelte. »Ein Teil meines Landes, Gillory. Ein Teil meines Landes wird überschwemmt. Ein kleiner Bruchteil davon. Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen uns – oder einer der Unterschiede. Ich besitze hundertzwanzig Hektar. Sie siebeneinhalb.«
    Einen Moment lang konnte er

Weitere Kostenlose Bücher