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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nachdem er William untersucht hatte. Viel Flüssigkeit, ein warmes, aber nicht überheiztes Zimmer, und er sei in ein oder zwei Tagen wieder kerngesund. Thomasine, die Williams Jäckchen zuknöpfte, war zutiefst erleichtert.
    Am Tag darauf reisten die Gäste ab: eine Karawane von Automobilen und Kutschen, die von der Einfahrt ins Dorf hinunterfuhr. Sobald sie sich vom letzten Gast verabschiedet hatte, ging Thomasine ins Kinderzimmer hinauf.
    Sie konnte Williams stoßweises Weinen schon hören, bevor sie die Tür öffnete. Es war das verzweifelte Schluchzen eines Kindes, das zu lange geschrien hatte und nicht beachtet worden war. Im Innern des Kinderzimmers blieb sie einen Moment stehen und sah auf den glänzenden Boden, das funkelnde Becken und Bad, auf die staubfreien Möbel und das schimmernde Geschirr. Auf die Stapel von Windeln, Decken und Bettwäsche, alles säuberlich gefaltet und an seinen richtigen Platz gelegt. Auf die Reihe der sterilisierten Fläschchen, der gewaschenen und gebügelten Lätzchen. Selbst Williams Rasseln waren in Reih und Glied auf ein eigens beschriftetes Regal im Schrank gelegt.
    Nanny Harper stülpte Gummischnuller auf Glasfläschen. Martha schrubbte die Babybadewanne. Thomasine hob William aus der Wiege.
    Er lächelte sie nicht einmal an. Sein erschöpfter niedergeschlagener Blick und der Klang seines würgenden, erstickten Schluchzens brachen ihr fast das Herz. Sein Gesicht war vom Weinen rot angeschwollen, und sein kleiner Körper zitterte, als sie ihn an sich drückte.
    Wenn sie sich wegen William nicht zurückgehalten hätte, wäre sie zu physischer Gewalt fähig gewesen. Ein fürchterlicher, namenloser Zorn hatte sie ergriffen. Am liebten hätte sie Nanny Harper das ordentlich aufgesteckte Haar vom Kopf gerissen oder ihr mit der Faust in ihr unbewegtes, liebloses Gesicht geschlagen. Aber mit dem Baby in ihren Armen konnte sie sie nur mit Worten angreifen. Sie brachte allerdings kaum etwas heraus. Schließlich gelang es ihr hervorzustoßen: »Wie lange schreit das Kind schon?« Sie ertrug es nicht, die Frau mit ihrem Namen anzusprechen.
    Der letzte Schnuller wurde geschickt über die Flaschenöffnung gezogen.
    Â»Etwa eine halbe Stunde, Euer Ladyschaft. William war den ganzen Morgen unruhig.«
    Â»Eine halbe Stunde …« Erneut war sie sprachlos.
    Â»Ein recht unartiger kleiner Junge, muß ich sagen, Euer Ladyschaft.«
    Thomasine wußte plötzlich, daß jeder Streit sinnlos wäre. Daß sie bloß auf hochmütiges Unverständnis stieße, wenn sie erklärte, daß William krank, erst zwei Monate alt und zu Unartigkeit noch gar nicht fähig war. Plötzlich wußte sie ganz genau, was sie zu tun hatte.
    Â»Würden Sie bitte Ihre Sachen packen, Miss Harper. Ich benötige Ihre weiteren Dienste nicht mehr. Anstelle einer Kündigungszeit bezahle ich Ihnen natürlich zwei Monate Ihres Gehalts.«
    Endlich besaß sie die Aufmerksamkeit der Frau. Sie hatte es geschafft, durch die selbstgefällige Maske hindurchzudringen. Einen Moment lang riß sie die kalten grauen Fischaugen auf, und der Mund mit den weißen Zahnreihen ging auf und schloß sich wieder. »Sie entlassen mich, Lady Blythe?«
    Â»Ich entlasse Sie, Miss Harper.« Sie begann, sich ruhiger zu fühlen. Thomasine wandte sich an Martha, die aus dem Badezimmer hereinstarrte.
    Â»Martha – nimm William bitte und gib ihm eine Flasche Wasser, während ich Miss Harpers Lohn hole.«
    Das war der schwierige Teil. In ihrem Zimmer durchsuchte sie alle Taschen und Börsen und brachte drei Shilling und ein Sixpence-Stück zusammen. In der Tasche eines Kleides fand sie noch ein weiteres Sixpence-Stück und in der Schublade mit den Taschentüchern drei Pennys.
    Nicholas war im Wintergarten und unterhielt sich mit seiner Mutter. Sie wußte, daß es keinen Sinn hatte, ihn auf ein Wort beiseite zu nehmen, daß es keinen Sinn hatte, sich den Folgen ihrer Handlung zu entziehen.
    Â»Ich muß dich leider um etwas Geld bitten, Nick. Ich habe gerade Miss Harper fristlos entlassen und muß ihr für die Kündigungszeit zwei Monate ihres Lohns bezahlen.«
    Ihre Stimme klang kräftig und klar, wie eine Herausforderung. Sie brachte es nicht über sich, einen entschuldigenden oder versöhnlichen Ton anzuschlagen: Dafür waren ihr die Verzweiflung in Williams Augen und sein ersticktes

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