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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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fallen, so daß sie auf dem steinernen Kocher zerbrach, und rannte aus dem Salon und zum Haus hinaus.
    Ihre Lungen schmerzten, als sie über den Rasen und den kleinen Hügel hinab auf die Koppel zurannte. Als sie durch den Zaun schlüpfte, zerriß ihr Kleid, und die groben Holzsplitter verhakten sich in ihren Strümpfen.
    Als sie den Damm hinaufgeklettert war, der den Zufluß der Lark begrenzte, kam sie schlitternd zum Stehen. Ihr Herz raste, und ihre Schuhe waren von Schlamm verklebt. Drakesden Abbey, das sie aufgefressen und verschlungen hatte, spuckte sie jetzt wie einen Fremdkörper wieder aus. Lange sah sie nur auf das graue Wasser im Deich hinab und dann schließlich in den trüben Himmel hinauf, der sich über ihr wölbte. Ihre Nägel hatten sich in ihre Handflächen gegraben und hinterließen kleine rote, geschwollene Flecken. Sie richtete sich auf und schlang die Arme um sich. Die Wolken über ihr nahmen verschiedenartige Formen an, bildeten Berge, Schlösser, Drachenmäuler. Frierend und zitternd war sie gezwungen, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Obwohl sie Drakesden Abbey einen Erben geschenkt hatte, gehörte sie dennoch nicht dazu. Diese Art von Leben mußte man von Kindesbeinen an erlernt haben. Wie die Blythes es getan hatten, sie jedoch nicht.
    Mit gebeugtem Kopf wegen des heftigen Winds ging Thomasine am Rand des Deichs entlang. Dabei fiel ihr die bröckelnde Oberfläche des Walls auf, die Stellen, wo das Wasser den eingesunkenen Befestigungen gefährlich nahe kam. Sie sah auf das weite flache Land hinaus, das wieder zu Wasser würde, wenn der Deich brach, auf die verrotteten Planken der primitiven Brücken, die die Flußläufe überspannten, auf das Unkraut und die Disteln auf den Feldern, die den Deich umgaben.
    Lange stand sie da und starrte alles nur an. Dann begann sie, zum Haus zurückzugehen. Es fühlte sich an wie die Rückkehr in ein Gefängnis, doch sie wischte den Gedanken beiseite. Sie hatte keine Wahl. Ihr Mann und ihr Kind brauchten sie.
    Bevor sie nach London zurückkehrte, verbrachte Lally eine halbe Stunde mit ihrer Mutter in dem kleinen Salon, der sich an Lady Blythes Schlafzimmer anschloß. Lally langweilte sich inmitten der chintzbezogenen Möbel, der vielen Rüschen und Porzellanfiguren. Sie stand am Fenster und sah auf den Vorgarten hinaus, während ihre Mutter Kaffee eingoß. Einen großen Kinderwagen schiebend, kam Nanny Harper die Einfahrt herauf. Williams Morgenausfahrt, dachte Lally und gähnte.
    Zu ihrer Mutter gewandt, sagte sie: »Wo hast du denn diese entsetzliche Person aufgetan?«
    Lady Blythe sah ruhig auf. »Ich weiß nicht, was du meinst, Lally.«
    Â»Diese Schreckschraube, diese Nanny des armen kleinen William.«
    Â»Miss Harper ist mit den allerbesten Empfehlungen zu mir gekommen. Jetzt setz dich doch, Lally, dein Kaffee wird kalt.«
    Eine Weile herrschte Schweigen. Lally trank ihren Kaffee. Schließlich sagte sie: »Du kannst sie nicht ausstehen, nicht wahr?«
    Â»Wen?«
    Â»Thomasine natürlich.«
    Lady Blythe stieß das kurze melodische Lachen aus, das Lally immer so falsch und verlogen vorkam. »Mach dich nicht lächerlich, Lally.«
    Lally ließ sich nicht beirren. Fasziniert beobachtete sie ihre Mutter. »Nicholas liebt sie, weißt du.«
    Lady Blythes beherrschter Gesichtsausdruck verwandelte sich in Zorn. »Nicholas ist betört. Jede kluge, einigermaßen attraktive Frau kann einen Mann betören, wenn sie es darauf abgesehen hat.«
    Lally faßte zusammen, was sie beobachtet hatte: »Also verunsicherst du Thomasine ständig. Du bringst sie dazu, an sich zweifeln.«
    Â»Ich führe ihr vor, was sie in Wirklichkeit ist«, antwortete Lady Blythe knapp und kalt. »Ich zeige ihr nur, daß sie nicht gut genug für Nicholas ist und nie sein wird. Sie hat keine Manieren. Und sie gehört nicht hierher.«
    Es lohnte sich fast, in Drakesden zu bleiben, dachte Lally, um zu sehen, wie die Dinge sich entwickelten. Um ihre Mutter zu beobachten, die großartig war in ihrer unnachgiebigen Boshaftigkeit, Thomasine Thorne zu zerstören. Aber innerhalb einer Woche würde Drakesden sie zum Wahnsinn treiben. Lally erhob sich.
    Â»Mach dir keine Sorgen, ich werde Nicholas kein Wort sagen. Wahrscheinlich hast du recht. Sie hätten nie heiraten sollen.«
    Dr. Lawrence diagnostizierte eine leichte Erkältung,

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