Die geheimen Jahre
gezogen. Eine der Bewohnerinnen sah zu ihr herüber, und Thomasine hob die Hand und winkte. Aber die Frau wandte ihr den Rücken zu und winkte nicht zurück. Verwirrt und besorgt machte sich Thomasine auf den Heimweg.
Der August war für Daniel der arbeitsreichste Monat im Jahr. Die Erdbeeren waren alle verkauft, aber die Himbeeren hingen noch an den Sträuchern, und die schwarzen und roten Johannisbeeren standen kurz vor der Reife. Es war umständlich und zeitaufwendig, die weichen Beeren zu pflücken. Zögernd bat Daniel Fay um Hilfe, und am Mittag gingen die Gillorys und Harry Dockerill zum Essen zum Cottage zurück.
Während sich Harry vor der Hintertür den Schmutz von den Stiefeln kratzte, sagte er: »Ein paar von den Männern sind bei der Sache mit dem Gutsherrn auf deiner Seite, Daniel. Vor allem die jungen. Du solltest heute abend in den Otter kommen und mit ihnen reden.«
Daniel nickte. In der Küche öffnete er die Schränke und spähte in den Herd. Aber auÃer einer Büchse Sardinen und einer Schachtel Kekse konnte er nichts finden.
Fay reinigte sich die Nägel. »Die Hühner haben nicht gelegt«, antwortete sie gereizt auf Daniels Frage. »AuÃerdem hatte ich keine Zeit, zum Einkaufen zu gehen.«
»Dann nimm deine Börse, und wir gehen jetzt.«
»Ich hab nicht viel Geld, Daniel«, erwiderte sie ausweichend.
Harry Dockerill stand in der Tür und gab taktvoll vor, die Aussicht zu genieÃen.
»Es ist doch erst Dienstag«, flüsterte Daniel. »Du muÃt doch noch genügend Geld für einen Laib Brot haben.«
Fays Börse lag auf dem Küchenbüfett. Sie öffnete sie und sah hinein. »Zwei Pence.«
»Zwei Pence!« Daniel vergaà zu flüstern. »Aber ich hab dir doch am Freitag nachmittag zwei Pfund und zehn Shilling gegeben. Wo ist denn das alles geblieben?«
»Ich hatte keine Zeit zum Kochen«, sagte sie abwehrend. »Nicht bei der vielen Arbeit drauÃen. Also muÃte ich im Laden einkaufen. Dosen und derlei. Und ich brauchte einen neuen Hut, sonst verbrenne ich mir das Gesicht. Und Handschuhe.«
Er starrte sie an und versuchte, seine aufsteigende Panik niederzukämpfen. »Fay. So geht das nicht weiter. Wirklich nicht. Erst in den letzten Wochen ist es mir wieder gelungen, unser Konto auszugleichen. Könntest du bitte versuchen, ein biÃchen sparsamer zu sein?«
»Sparsamer sein?« erwiderte sie zornig. »Das tue ich doch ständig, immer bin ich am Knapsen und Knausern. Es gibt keinen Spaà mehr, nie krieg ich was Neues.«
»Ich muà sparen, Fay â wie soll sich denn sonst etwas für dich bessern? Womit soll ich neues Land kaufen oder das Haus umbauen? Es ist doch nur für eine Weile.«
»Nur für eine Weile«, äffte sie ihn nach. »Das sagst du mir schon, seit wir geheiratet haben, Daniel Gillory. Aber wir sitzen immer noch in diesem Loch. Ich hab immer noch kein Wohnzimmer, kein Bad, und immer noch gibt es die schreckliche Toilette â¦Â«
Wütend entgegnete Daniel: »Du hast ein Dach über dem Kopf und genügend Geld, um dich anständig zu ernähren und zu kleiden, Fay. All die anderen Dinge bekommst du, sobald es mir möglich ist â vorausgesetzt wir sind sparsam. Mein Gott, Harrys Mutter hat von weniger als der Hälfte, die dir zur Verfügung steht, zehn Kinder aufgezogen.«
»Harrys Mutter?« Fay verzog angewidert das Gesicht. »Die leben doch wie die Tiere. Drei in einem Bett, und sie sind so viele, daà sie beim Essen nicht mal alle um den Tisch passen. Zweimal im Jahr waschen sie sich das Haar und baden in einer alten Wanne vor der Küchentür. Da würde ich ja lieber gleich sterben!«
Einen Moment lang sah sie geradezu häÃlich aus. Ihr Gesicht war bleich mit zwei hektischen Flecken auf den Wangen, der Mund zu einem höhnischen Grinsen verzogen. Als er sich schnell umdrehte, entdeckte er, daà Harry schon halb den Hinterhof überquert hatte und in Richtung des Hauses seiner Mutter ging. Daniel schlug mit der Faust auf den Tisch und bemühte sich, nicht zu antworten. Er wuÃte, daà er sonst etwas gesagt hätte, was die Kluft zwischen ihnen unüberbrückbar gemacht hätte.
Fay drängte sich an ihm vorbei und rannte in den Hof hinaus. Einen Augenblick lang dachte er, sie wollte sich bei Harry entschuldigen. Aber dann sah er sie im Schuppen verschwinden
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