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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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und mit dem Fahrrad wieder herauskommen. Er rief ihr nicht nach. Erschöpft ließ er sich am Tisch nieder und vergrub den Kopf in den Händen.
    Fay radelte nach Ely, ließ das Rad auf einem Grasstreifen in der Nähe der Kathedrale liegen und hastete aufgebracht von Geschäft zu Geschäft, bis sich ihr Zorn gelegt hatte.
    Schließlich fand sie sich auf dem Gehsteig vor dem Haus des Doktors wieder. Die Straße war von Bäumen gesäumt, in deren Schatten sie sich stellte, um schnell das Haar und die Kleider zu ordnen. Schließlich wurde sie für ihre Geduld belohnt, als sie Dr. Lawrence aus der Vordertür treten sah.
    Sie registrierte die Überraschung in seinem Gesicht, als sie seinen Namen rief. »Ach – Dr. Lawrence.«
    Â»Mrs. Gillory. Wieder beim Einkaufen?«
    Â»Nur Schaufenster ansehen«, antwortete sie. »Aber es ist so schrecklich heiß.«
    Einen Moment lang erwiderte er nichts, sondern stand bloß da und blickte sie an. Sie wußte, daß sie die Enttäuschung nicht ertragen hätte, wenn er nur den Hut gelüpft hätte und einfach weitergegangen wäre.
    Aber er ging nicht weiter. Statt dessen sagte er: »Eigentlich wollte ich gerade eine Kleinigkeit essen gehen. Vielleicht hätten Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten, Mrs. Gillory?«
    Dr. Lawrence bestellte Tee und Kuchen und lehnte sich zurück, um Fay anzusehen. Die Direktheit seines Blicks machte sie nervös. Bei einem anderen Mann hätte sie es für unverschämt gehalten, aber in seinem Fall fand sie es nur seltsam beunruhigend, leicht beängstigend und – aufregend. Ja, aufregend. Sie spürte, daß sie rot wurde, und sagte:
    Â»Wofür steht das ›A‹ auf dem Schild an Ihrer Tür? Ich dachte, vielleicht für Albert oder für Andrew …«
    Â»Alexander«, antwortete er lächelnd.
    Â»Alexander. Wie reizend. Was für ein außergewöhnlicher Name.«
    Â»In England vielleicht. In Schottland nicht.«
    Die Bedienung brachte den Tee, und dankbar für die Ablenkung goß sich Fay ein und rührte Milch und Zucker um.
    Â»Vermissen Sie Schottland, Dr. Lawrence?«
    Er neigte den Kopf zur Seite und überlegte. Seine Augen waren von einem hellen, verwaschenen Blau mit schweren Lidern, deren Wimpern aufgrund ihres hellen Blondtons wie durchsichtig wirkten. Wie bei bestimmten Tieren, dachte Fay, die sonst nicht zu einfallsreichen Vergleichen neigte. Wie bei einer Eidechse oder einer Schlange …
    Â»Im Moment überhaupt nicht, Mrs. Gillory.«
    Sie spürte, daß sie wieder errötete, und ärgerte sich über ihren Mangel an Beherrschung.
    Er schien Mitleid mit ihr zu haben. »Ich bin aus beruflichen Gründen nach East Anglia gekommen, Mrs. Gillory«, erklärte er. »Ich interessiere mich sehr für rheumatische Erkrankungen, verstehen Sie, und schreibe gerade einen Artikel über deren Gründe und Behandlung. In den Fens gibt es viele dieser Krankheitsfälle.«
    Â»Oh.« Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte auch nichts essen. Unablässig rührte sie ihren Tee um.
    Â»Es ist die Feuchtigkeit, Mrs. Gillory. Das tiefliegende Land. Die Leute können sich nicht warm halten.«
    Â»Unser Cottage ist im Frühling sehr feucht. Das Wasser dringt durch den Boden ein.« Sie sprach stockend und abgehackt, als hätte sie ihre Stimme nicht unter Kontrolle. Gleichzeitig war sie sich plötzlich der Gefährlichkeit ihrer Lage bewußt. Sie beschloß, nie mehr allein nach Ely zu fahren, nie mehr auf diese Weise ihren Ruf aufs Spiel zu setzen, sich nie mehr den erbarmungslosen Blicken dieses Mannes, seiner gewandten, verführerischen Stimme auszusetzen.
    Â»Und haben Sie Rheumatismus, Mrs. Gillory? Schmerzen und Gliederreißen?«
    Â»Nein – nein. Nur Dornen.« Sie kicherte. »Vom Himbeerpflücken habe ich einen Dorn im Finger. Er tut ziemlich weh.«
    Sie wußte, daß sie albernes Zeug plapperte, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. Von ihrer Makrone hatte sie keinen Bissen gegessen, sondern sie zwischen den Fingern zerkrümelt, bis nur noch ein Häufchen Brösel in der Mitte ihres Tellers lag.
    Â»Lassen Sie mich mal sehen.«
    Sie gab ihm die Hand. Sie konnte nicht anders. »Gleich hier. Am Zeigefinger.«
    Â»Ah ja. Ich sehe ihn.« Er blickte zu ihr auf. »Das sollten Sie nicht auf sich beruhen

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