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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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ihr Leben so einrichtete, daß es irgendwie mit dem seinen übereinstimmte. Doch sie lächelte, als sie auf ihn zuging.
    Â»Daniel. Was für eine Überraschung. Wie war Italien?«
    Â»Zu viele Uniformen für meinen Geschmack. Mussolinis Anhängern gefällt es, die Muskeln spielen zu lassen.« Er beugte sich hinunter und küßte sie auf die Wange.
    Â»Wann bist du zurückgekommen?«
    Â»Vor zwei Wochen. Ich war in Yorkshire, wo ich mich in den Kohlengruben fast zu Tode gefürchtet habe.« Er war braun von der Sonne, sah gesund und zuversichtlich aus.
    Â»Kohlengruben? Warum Kohlengruben?«
    Â»Weil, meine liebe Thomasine, die Bergleute den größten Streik veranstalten wollen, den das Land je gesehen hat. Das Angebot der Zechenbesitzer, das heute morgen einging, beinhaltet Lohnkürzungen von dreizehn Prozent und die Verlängerung des Arbeitstags um eine Stunde. Ein paar von den rabiateren Herren der Konservativen – Mr. Churchill etwa – prophezeihen bereits eine Revolution.«
    Sie lachte. »Das ist lächerlich. Sieh dich doch um.«
    Daniel sah die Straße hinunter und grinste. »Ich weiß, was du meinst. Das entrechtete Proletariat sieht nicht unbedingt kampfbereit aus. Aber etwas wird passieren. Wenn heute nacht die Aussperrung beginnt und der Gewerkschaftskongreß und die Regierung zu keiner Einigung kommen, fahren am Dienstag weder Busse noch Züge.«
    Â»Dann gehe ich eben zu Fuß zur Arbeit.« Thomasine stellte den Korb ab und setzte sich auf die Stufen der Eingangstreppe.
    Â»Immer noch in der Knochenmühle?«
    Â»Dem eleganten Kaufhaus, wenn du erlaubst, Daniel. Ja.« Stolz sah sie ihn an. »Ich bin inzwischen Chefbuchhalterin. Nicht schlecht für eine Frau, die die doppelte Sünde begangen hat, zuerst zu heiraten und dann geschieden zu werden.«
    Â»Sie haben eben auf Anhieb erkannt, daß sie auf eine Goldader gestoßen sind. Meinen Glückwunsch, Thomasine.« Er umarmte sie kurz. »Die Bezahlung ist wahrscheinlich miserabel, oder?«
    Sie zuckte die Achseln und sah auf die Himmel-und-Hölle spielenden Kinder. »Mit dem Zubrot, das ich mit Unterrichten verdiene, habe ich das gleiche wie ein männlicher Buchhalter. Also ist es nicht so übel.«
    Â»Unterrichten?«
    Â»Tanzen. Ich hab angefangen, abends und an den Wochenenden ein paar Schülerinnen zu unterrichten – hauptsächlich kleine Mädchen. Mrs. Price läßt mich ihren vorderen Salon benutzen. Für ein kleines Entgelt natürlich. Sie findet, es verleiht dem Haus eine gewisse Klasse.«
    Â»Und William?« fragte Daniel vorsichtig.
    Â»Ich sehe ihn einmal pro Monat, seit die Scheidung durch ist. Nicholas kommt nach London und bringt die Nanny und William mit, und ich habe dann einen Nachmittag mit ihm. Wir gehen in den Park, oder ich führe ihn zum Tee aus. Letzten Monat bin ich im Kino mit ihm gewesen, Daniel. Er fand es herrlich.«
    Es entstand ein Schweigen. Thomasine sah auf das kleinste der spielenden Kinder, einen zarten Jungen mit dunklem Haar, der ein wenig wie William aussah. Nur daß er ihm eigentlich überhaupt nicht ähnlich war. Niemand war wie William.
    Sie sah zu Daniel auf. »Wie auch immer«, sagte sie fröhlich, »wie lange bleibst du hier? Fünf Minuten – zwei Tage? Haben wir Zeit für ein Sandwich oder eine Tasse Tee?«
    Er wirkte ein wenig verlegen. »Im Moment bin ich auf dem Sprung. Aber morgen abend führe ich dich aus. Du mußt ein Cocktailkleid anziehen … irgendwas Glitzerndes …« Ein wenig gereizt fügte er hinzu: »Mein Buch ist vor ein paar Tagen rausgekommen. Der Verleger gibt eine Art Party.«
    Â»O Daniel. Als nächstes wirst du mit Lady Ottoline Morrell dinieren und Wochenenden in Garsington verbringen.«
    Â»Ach Quatsch«, antwortete er mit finsterer Miene. »Aber ich muß wohl hingehen. Was meinst du?«
    Â»Daniel!« rief sie tadelnd. »Natürlich mußt du hingehen! Es wäre furchtbar unhöflich, nicht zu erscheinen.«
    Â»Wahrscheinlich schon.« Er war zu seinem Motorrad gegangen und drückte den Starthebel herunter. »Im Moment kommt es mir bloß wie eine unnütze Zeitverschwendung vor. Aber trotzdem. Um acht Uhr dann. Ich hol dich ab.« Das Motorrad sprang dröhnend an, und die Kinder liefen mit aufgerissenen Augen auf den Gehsteig zurück.
    Â»Nicht auf dem Ding!«

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