Die geheimen Jahre
Vergangenheit.
Während sie sich Zucker in den Tee rührten, sagte Thomasine zögernd: »Hast du vor, irgendwann zurückzugehen, Daniel?«
Er verstand natürlich, was sie meinte. »Auf dem Weg ins Kohlerevier bin ich über Drakesden gefahren. Harry Dockerill hatte mir wegen der Frühjahrsüberschwemmung geschrieben. Und auÃerdem ⦠besuche ich den Friedhof, wenn ich kann. Ich muà alles in Ordnung halten. Sie hat sonst niemanden.«
»Fay?« fragte Thomasine vorsichtig.
Er nickte. »Ihre Familie wohnt zu weit weg, verstehst du? Und im Dorf hatte sie keine Freunde. Ich hab ein paar Blumenzwiebeln gepflanzt. Sie mochte hübsche Dinge.«
Wieder wünschte sie sich, sie würde die richtigen Worte finden. Aber vielleicht gab es keine richtigen Worte. Statt dessen legte sie die Hand auf die seine, und er sah auf und sagte: »Dieses Frühjahr war das Wetter dort sehr schlecht. Der arme Harry hatte schwer zu tun. Das Land beim Deich ist nicht mehr zu benutzen.«
»Ist der Deich gebrochen?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank, nein, sonst wäre das halbe Dorf überschwemmt worden. Aber in dem Teil des Dorfes dringt das Wasser durch den Torf, und einige der Gräben, die in den Deich flieÃen, sind über die Ufer getreten. Aber es wird passieren, Thomasine. Nächstes Jahr â vielleicht im Jahr darauf. Ich glaube kaum, daà es bis zum Ende dieses Jahrzehnts keine schwere Ãberschwemmung geben wird. Harry war so beunruhigt, daà er Annie und das Baby für ein paar Wochen zu Annies Mutter nach Soham geschickt hat.«
Der Lärm aus der Bar schien in den Hintergrund zu treten, sie befand sich wieder in Drakesden und sah, wie das Wasser im Deich höher und höher stieg und alles zu verschlingen drohte. Sie merkte, daà sie noch immer Daniels Hand festhielt. Seine Finger hatten sich um die ihren geschlossen, sein Daumen berührte ihre Handfläche.
»Ich würde gern wissen, wie es in Drakesden steht, aber ich bekomme Nicholas nie zu Gesicht. William wird von der Nanny gebracht und wieder abgeholt.«
Daniel schwieg einen Moment, ehe er begann: »Es ist immer noch ungeheuer schwer, sich mit Landwirtschaft ein anständiges Auskommen zu sichern. Harry hat mir erzählt, daà viele der Bediensteten Drakesden Abbey verlassen haben, weil sie in den Städten viel mehr verdienen.«
»William hat gesagt, daà die alte Mrs. Blatch und Dilley, der Gärtner, gestorben sind.« Thomasine fiel wieder ein, welche Nervenprobe es gewesen war, mit Mrs. Blatch den Speiseplan zu besprechen, und wie zornig der alte Dilley immer wurde, wenn sie Treibhausblumen pflückte. »Hat Nicholas weiteres Land zum Verkauf angeboten?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Keinen Quadratzentimeter.«
»Lady Blythe war absolut dagegen, daà er etwas verkaufte.«
»Das spielt jetzt ohnehin keine Rolle mehr. Schau, Thomasine, die Bar ist fast leer. Es ist spät.«
Sie sah, daà er recht hatte. Nur die Wirtin war noch da und polierte hinter der Theke Gläser.
»Möchtest du zuerst raufgehen? Ich kann noch eine Weile hier unten bleiben, wenn du willst.«
Seine Hand hielt allerdings immer noch die ihre fest, die Botschaft in seinen Augen war klar. Die Welt hatte sich verändert in der letzten Woche, sie war ein seltsamer, fremder Ort geworden. Der Wein, das Bier und ihre Müdigkeit hatten sie entspannt und leicht euphorisch werden lassen. Daniels Erregung und Optimismus hatten sie berührt und eine Zeitlang die düsteren Gedanken an die Vergangenheit vertrieben. Sie war erst siebenundzwanzig und wollte nicht allein schlafen.
»Nein, Daniel«, antwortete sie. »Komm gleich mit nach oben.«
Im Zimmer zog sie Kleid, Unterwäsche und Strümpfe aus. Es war fast so, als müÃte sie sich beeilen, um sich nicht doch noch anders zu besinnen.
»Du bist schön. Du bist absolut vollkommen«, sagte Daniel. Er stand an der Tür. Seine Augen waren dunkel und hungrig.
»Das Licht der Ãllampe schmeichelt mir. Ich habe Schwangerschaftsstreifen und Sommersprossen.«
Ich bin nicht vollkommen, Daniel. Nicholas hat mich für vollkommen gehalten. Ich möchte, daà du die Wahrheit weiÃt .
»Ich liebe Schwangerschaftsstreifen und Sommersprossen. Komm her.«
Sie setzte sich neben ihn aufs Bett. »âºO mein Amerika, mein Neufundlandâ¹Â â¦Â«,
Weitere Kostenlose Bücher