Die geheimen Jahre
Holzsplittern besät.
»Wir machen uns lieber aus dem Staub.« Daniel versuchte, Thomasine von dem Gewühl wegzuziehen. »Das wird allmählich ungemütlich.«
Aber während sie die Szene, entsetzt über die Gewalttätigkeit, beobachtete, rià sich einer der Männer von den Spezialeinheiten los und lief in ihre Richtung. Er machte groÃe Sätze, rutschte auf den Glasscherben und Trümmern des zerstörten Gasthauses aus und stürzte im Rinnstein Thomasine vor die FüÃe. Der weiÃe Helm rollte ihm vom Kopf, und er sah zu ihr auf. Als zwei der Anwohner losrannten und erneut auf ihn einprügeln wollten, rief Thomasine:
»Nein. Nicht. Ich kenne ihn.«
»Ist er ein Freund von dir, SüÃe?« Das Kosewort klang höhnisch.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ein Bekannter.«
Im Rinnstein, aus einer Stirnwunde blutend, lag Simon Melville.
Als sie Simon in Daniels Wohnung halfen, spürte Thomasine, wie die Männer sie anstarrten, und hörte die leisen Bemerkungen. Die Blicke, denen sie ausgesetzt war, brannten ihr förmlich auf dem Rücken, und sie war froh, daà Daniel Simon Melville auf der anderen Seite stützte. Als er die Wohnungstür hinter ihnen schloÃ, erschauderte sie vor Erleichterung.
Der Raum war hoch, unordentlich und mit Büchern übersät. Daniel setzte Simon auf einen Stuhl. »Ich hole Wasser und Verbandszeug.« Er verschwand ins Badezimmer und kehrte nach ein paar Minuten mit einer Schüssel kaltem Wasser, Gaze und Mullbinden zurück.
Simons blondes Haar war mit Blut verklebt, und seine Haut sah wächsern aus. Thomasine arbeitete schnell und geschickt, spürte aber, wie unangenehm ihr die Aufgabe war. Sie hatte Simon noch nie gemocht und ihm immer miÃtraut. Seit jener Unterhaltung, die sie auf der Party in Bloomsbury mit angehört hatte, miÃtraute sie ihm noch mehr. Ihr Mund war zu einem starren Strich gespannt, während sie mit dem Mull die tiefe, klaffende Wunde säuberte, die sich über Simon Melvilles Stirn zog.
Simon murmelte: »Diese Schweine . England braucht diesen Abschaum nicht.«
Daniel sah seine Briefe und Nachrichten durch. Er blickte auf und sagte verächtlich: »Genausowenig braucht es uniformierte Flegel wie Sie.«
Die Blutung hatte nachgelassen. Thomasine legte ein sauberes Stück Mull auf die Wunde. »Du solltest es vielleicht nähen lassen, aber jetzt mach ich dir ein Pflaster drüber. Was hast du getan, Simon? Es ist doch ohnehin alles vorbei.«
»Eine kleine Siegesfeier. Das war alles. Nur meine patriotische Pflicht erfüllt.« Es war ihr nicht entgangen, daà er ziemlich blau war.
»Siegesfeier â¦.« Thomasine warf einen raschen Blick zu Daniel hinüber, der immer noch ganze Bündel von Papieren durchblätterte.
»Das sind alles Rote«, murmelte Simon, als Thomasine ihm die Binde um den Kopf wickelte. »Das ganze verdammte Pack.«
»Unsinn.« Plötzlich konnte sie den Mund nicht mehr halten. »Es sind ganz normale Leute wie du und ich. Sie möchten einfach nur ihre Familien ernähren â eine ordentliche Wohnung haben â¦Â«
Seine Lippen kräuselten sich. »Sie sind Vieh. Untiere â eigentlich gar keine Menschen. Sieh sie dir doch an â die gekrümmten Leiber, die groben Gesichter â¦Â«
Plötzlich machte er ihr angst. In seinen Augen stand ein fanatisches Leuchten, und sie wuÃte, daà er jedes seiner Worte glaubte.
Daniel sah Simon scharf an. »Sie sind vermutlich Faschist? Zweifellos einer aus dem Trupp von Arthur Hardinge?« Er knüllte eine Reihe von Briefumschlägen zusammen, während er Thomasine erklärte: »Arthur Hardinge gehörte zur Exekutive der britischen Faschisten. Sein Cousin ist Präsident des Korps zur Aufrechterhaltung der Güterversorgung.«
Simon lächelte, und sein zerschlagenes, verschrammtes Gesicht verzerrte sich zu einer abstoÃenden Fratze. »Ich war Mitglied der britischen Faschisten. Ich wurde Loyalist, um dem Freiwilligenkorps beizutreten. Irgend jemand muà doch was tun â England wird von diesen bolschewistischen Schweinen ja geradezu überrannt. Sogar die oberen Schichten sind schon infiziert davon.«
Daniel wollte aufbrausen, doch Thomasine sagte schnell: »Soll ich versuchen, Lally anzurufen, damit sie dich abholt, Simon?«
Er klopfte sich Staub und Schmutz von seiner Jacke.
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