Die geheimen Jahre
»Wen?«
»Lally Blythe. Sie könnte dich heimbringen. Du bist doch mit Lally befreundet, oder nicht?« Ihre Stimme klang sarkastisch, weil sie sich an das Gespräch bei der Verlegerparty erinnerte, das sie zufällig mit angehört hatte.
»Befreundet?« Er lachte kurz auf, aber seine blauen Augen blieben kalt. »Lally Blythe zur Freundin zu haben hieÃe mit einer Wildkatze befreundet zu sein. Hübsch anzusehen, aber Gott steh einem bei, wenn sie ihre Krallen ausfährt.« Als er Thomasine ansah, begann er zu lachen. Seine Schultern bebten, sein ganzer Körper wurde geschüttelt. »Ich glaubâs nicht. Du hast es nie bemerkt? Du warst doch ihre Schwägerin. Du muÃt genauso blöd sein wie dein Exmann.«
Mit einer einzigen Bewegung packte Daniel Simon am Revers und schob ihn nach hinten.
»Du kleines â¦Â«
»Nein, Daniel. Nicht. Mr. Melville geht jetzt. Ich begleite ihn hinaus.«
Langsam lockerte sich Daniels Griff. Er schüttelte Simon noch einmal, bevor er ihn loslieÃ. »Ich muà ein paar Anrufe machen. Ich erwarte, daà Sie verschwunden sind, wenn ich zurückkomme.«
Simon strich seine Kleider glatt, während Daniel den Raum verlieÃ. Die Angst war aus seinen Augen gewichen, und Belustigung trat an ihre Stelle.
»Abgesehen davon ist Lally in ihren Bruder Nicholas vernarrt. Das solltest du doch wissen.«
Thomasines Abneigung verwandelte sich in Ekel. Simon beobachtete sie und genoà ihr Unbehagen.
»Manchmal hab ich mich gefragt, ob ihre geschwisterliche Beziehung ganz ⦠astrein ist.« Seine Stimme klang nachdenklich. »Aber andererseits kann ich mir nicht vorstellen, daà der liebe Nicky so unartig wäre. Wahrscheinlich bekäme er einen Nervenzusammenbruch, wenn ihm jemand steckte, daà seine Schwester auf ihn abfährt. âtschuldigung, ich meine natürlich einen weiteren Nervenzusammenbruch.«
Thomasine zischte: »Raus hier. Du ekelst mich an. Raus.« Sie drehte sich um, weil sie es nicht mehr ertrug, ihn länger anzusehen. Als sie hörte, wie er die Haustür hinter sich zuschlug, ging sie zum Fenster, rià es weit auf und rang nach frischer Luft, als hätte Simon Melvilles Anwesenheit den ganzen Raum vergiftet. Die Hände noch immer zu Fäusten geballt, sah sie zu, wie Simon die StraÃe hinunterhumpelte und wie ein paar Minuten später Daniel von der Telefonzelle an der StraÃenecke zurückkam.
Als er die Wohnung betrat, konnte sie an seinem Gesichtsausdruck ablesen, daà er schlechte Neuigkeiten hatte. Mit resignierter Miene warf er die Arme in die Luft.
»Sie haben einfach nachgegeben. Die ganze Arbeit, Thomasine. Ich hatte so ein gutes Gefühl.« Seine Stimme klang schneidend vor Zorn. Sie starrte ihn an. »Was meinst du?«
»Die Regierung hat nicht nachgegeben, sondern der GewerkschaftskongreÃ. Sie haben die Bergleute im Stich gelassen.«
»Aber bei der Arbeit haben alle gejubelt. Alle dachten â¦Â« Ihre Stimme brach ab.
»Keinen Penny weg vom Lohn, keine Stunde mehr an Fron«, murmelte Daniel bitter. »Leider hat das nicht ganz geklappt. Der Gewerkschaftskongreà hat irgendein Memorandum von Sir Herbert Samuel angenommen. Die Bergleute waren damit allerdings nicht einverstanden. Während jetzt das übrige Land an die Arbeit zurückkehrt, bleiben sie aus ihren Gruben ausgeschlossen. Bloà daà die Eigentümer sie jetzt so weit haben, daà der Hunger sie wieder zur Arbeit treibt.«
Unvermittelt lieà er sich aufs Sofa fallen und vergrub den Kopf in den Händen. Sie sah, wie erschöpft und niedergeschlagen er war, und spürte eine ähnliche Verzweiflung in sich aufkommen. Nichts änderte sich. Eine Weile dachte man, es käme etwas in Bewegung, aber man hatte sich getäuscht.
»Das schlimmste dabei ist, daà es keine Garantie dafür gibt, daà die Regierung das Samuel-Memorandum annimmt. Der Gewerkschaftskongreà glaubt, daà sie es tut, aber das ist nicht sicher. Und keinerlei Versprechen von Baldwin, daà die Streikenden nicht bestraft werden, wenn sie die Arbeit wiederaufnehmen. Ein paar Arbeitgeber bestehen bereits auf niedrigeren Löhnen für die Leute in den Nachtschichten.«
»Dann war alles für die Katz?«
»So sieht es aus.« Er starrte vor sich hin und schüttelte den Kopf. »Der Gewerkschaftskongreà hätte die Drucker nicht zum Streik
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