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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Tür schloß sich hinter der Nanny.
    Schließlich ergriff Lady Blythe das Wort. »Unverschämte Person! Wie kann sie es wagen!«
    Â»Uns zu verlassen?« Nicholas wollte lachen. »Man kann es ihr wirklich nicht verdenken. Sie hat nacheinander die gesamte Dienerschaft und gleichzeitig das Silber aus den Schränken verschwinden sehen und sich gefragt, was um alles in der Welt hier vor sich geht. Sie verläßt bloß das sinkende Schiff, Mama. Eigentlich ganz vernünftig.«
    Â»Sei nicht albern, Nicky.« Gerade aufgerichtet, begann Lady Blythe den Tee einzuschenken. »Du übertreibst.«
    Als er sie ansah, stellte er fest, daß sie glaubte, was sie sagte. Ihre Fähigkeit zur Selbsttäuschung war ungebrochen. »Für mich keinen Tee, Mama«, sagte er. »Ich sollte in den Garten zurückgehen, solange es noch hell genug ist.«
    Â»Du mußt essen, Nicky. Du mußt auf dich achtgeben.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Mama.« Seine Stimme klang freundlich, aber entschieden.
    Sie fuhr mit dem Einschenken fort. »Ich werde wegen einer anderen Nanny annoncieren.«
    Â»Nein, Mama.« Er wußte, daß er versuchen mußte, ihr die Lage verständlich zu machen. »Das hat keinen Sinn. Welche fähige Person würde hierherkommen? Was hätten wir ihr zu bieten? Geringen Lohn und ein Leben in völliger Abgeschiedenheit. Martha kann sich um William kümmern. Er mag Martha.«
    Â»Was William mag und was gut für ihn ist«, erwiderte Lady Blythe steif, »sind zwei verschiedene Dinge.«
    Â»Wirklich?« fragte Nicholas und sah auf sie hinab. »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    Sie antwortete nicht, sondern fuhr mit der Ausführung des veralteten Rituals fort, das sie fast jeden Tag zelebriert hatte, seitdem sie im Alter von zwanzig Jahren als Braut nach Drakesden Abbey gekommen war: den Wasserkessel über der Spiritusflamme erhitzen, indischen Tee in eine Kanne zu geben, chinesischen in die andere. Ihr Kleid reichte bis zu den Fesseln, war um die Taille eng geschnürt, am Hals gerüscht. Aus irgendeinem Grund fand er ihren Anblick deprimierend. Die Rüschen des altmodischen Nachmittagskleids rahmten ein Gesicht ein, in dem sich das Alter schließlich doch bemerkbar gemacht hatte, und ihr Haar, das oben am Kopf zu einem großen, buschigen Knoten geschlungen war, war jetzt weiß, nicht mehr blond. Er konnte sich nicht erinnern, wann es die Farbe verloren hatte.
    Das Honorar von Sir Alfred Duke war hoch – fünfundzwanzig Guineen für eine halbe Stunde Eingangsberatung. Bei ihrer Arbeit in der Buchhaltungsabteilung verdiente Thomasine nur drei Pfund und zehn Shilling wöchentlich. Von den Tanzschülerinnen verlangte sie zwei Shilling für eine halbe Stunde Unterricht. Wenn sie nach der Arbeit heimkam, hatte sie nur eine Viertelstunde Zeit, sich das Gesicht zu waschen, das Haar zu ordnen und die Ballettschuhe anzuziehen. Oft kam sie vor halb zehn Uhr abends nicht zum Essen.
    Sie wußte jedoch, daß es tiefere Beweggründe gab, die sie so beschäftigt hielten. Sie halfen ihr, Daniel aus dem Weg zu gehen. Sie war einfach noch nicht bereit, sich an einen Mann zu binden. Ihre Beziehung mit Clive Curran, ihre Ehe mit Nicholas Blythe hatten ihr gezeigt, wie töricht es wäre, ihr Glück abermals von einem Mann abhängig zu machen. Wenn sie eine anhaltende Sehnsucht nach Daniel verspürte, erinnerte sie sich an die Leidenschaft, die sie einst für Clive empfunden hatte. Sie traute dieser Art von Liebe nicht mehr.
    Sowohl Clive als auch Nicholas hatten sie betrogen, wenn auch auf verschiedene Weise. Sie mochte sich von Daniel vielleicht angezogen fühlen, aber wie gut kannte sie ihn eigentlich? Eine Kinderfreundschaft, eine flüchtige Bekanntschaft nach dem Krieg, gefolgt von einem Gefühl, das fast an Feindschaft reichte, während der Zeit ihrer unglücklichen Ehen. Seit ihrer Trennung von Nicholas hatte sich Daniel hauptsächlich im Ausland aufgehalten. Sie wußte, daß er schwierig war, vielleicht von einer unverarbeiteten und ungerechten Vergangenheit getrieben wurde. Sie spürte, daß Daniel noch immer den Kampf um Anerkennung führte, den er in seiner Kindheit begonnen hatte. Sie wußte, daß ihre eigenen Kämpfe inzwischen begrenzter, persönlicher waren. Sie wollte sich auf keinen Fall in Daniel Gillorys Leben verstricken lassen und wußte, daß sie dem

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