Die geheimen Jahre
Hunger und der Begierde nach Zuneigung, die sie in sein Bett geführt hatten, aus dem Weg gehen muÃte. Sie konnte es sich nicht leisten, sich wieder zu verlieren.
Mit Daniel hatte sie einen flüchtigen Moment des Glücks erlebt. Aber sie hatte Angst, von diesem Glück abhängig zu werden. Nie hast du dich vor etwas gefürchtet , hatte Daniel gesagt, aber sie wuÃte, daà das nicht stimmte. Sie hatte Angst, sich erneut an jemanden zu binden, der ihr Vertrauen und ihre Liebe miÃbrauchen könnte. Seit ihrer Rückkehr nach London hatte sie keine engen Freundschaften geschlossen, sich niemandem mehr anvertraut. Der Verzicht auf Intimität war ein ganz bewuÃter Akt, eine notwendige Haltung gegenüber einer feindlichen Welt. Bei der Arbeit war sie freundlich, tüchtig, zuverlässig, aber nie offen und persönlich. Sie hatte gelernt, Vertraulichkeiten zu miÃtrauen.
Auch sie hatte vom Verfall der Abbey gehört. Die kurze Unterhaltung bei der Party des Verlegers hatte die verschiedenen Andeutungen nur bestätigt, die sie aus anderen Quellen erfahren hatte: von Daniel und auch von William. Im Niedergang der Blythes sah sie Hoffnung für sich selbst. Wenn die Blythes untergehen und sie aufsteigen würde, wieviel hoffnungsvoller wäre dann der Anspruch auf ihren Sohn? Thomasine arbeitete hart und demonstrierte ständig die Begabung und das Können, die sie bereits weiter gebracht hatten, als es für eine Frau üblich war. Wenn sie vor Jahren auch fast ihren guten Ruf verloren hätte, so glaubte sie jetzt, dank ihrer Leistung und ihrer Vertrauenswürdigkeit diesen früheren Fehltritt allmählich wettzumachen. Vor allem aus diesem Grund konnte sie sich nicht mit Daniel Gillory einlassen. Sie würde nicht zulassen, daà ihre Unabhängigkeit durch irgend etwas gefährdet würde. Sie würde nicht zulassen, daà irgend etwas die Aussicht, ihren Sohn wiederzubekommen, in Gefahr brächte.
Der Erfolg seines Buches überraschte Daniel zutiefst. Die bescheidene Auflage der Schwarzen Erde war innerhalb von drei Monaten nach ihrer Veröffentlichung verkauft. Harold Markham und Daniel feierten stilvoll in Harolds Klub. »Die Leute haben den Hedonismus bis obenhin satt«, erklärte Harold. »Nach dem Krieg haben sie den Kopf in den Sand gesteckt â wollten nichts lesen, was sie zum Nachdenken zwingt. Jetzt fühlen sie sich von den unglaubwürdigen Abenteuergeschichten und trübseligen Romanzen über sogenannte moderne Mädchen gelangweilt. Sie möchten etwas, was mehr Substanz hat.«
Daniel fand, daà der kleine Erfolg der Schwarzen Erde mehr mit dem unterschiedlichen Leben in den Fens und der GroÃstadt zu tun hatte als mit seiner Fähigkeit, dem Zeitgeist zu entsprechen. Es amüsierte ihn, daà Leute seinen Geburtsort als exotisch empfanden. Den Scheck, der schlieÃlich von Markham Books eintraf, konnte er dennoch gebrauchen. Er erlaubte ihm, das Leben fortzuführen, das er mit Hatties Erbe begonnen hatte: sich weiterzubilden, zu reisen und zu schreiben. Der Drang zum Reisen war bereits wiederaufgeflackert â er wollte unbedingt das nachrevolutionäre RuÃland kennenlernen â, aber etwas hielt ihn zurück. Er muÃte sich persönlich von den Auswirkungen des Generalstreiks überzeugen â die Bergleute waren jetzt, im September, noch immer ausgesperrt.
Auch seine Gefühle für Thomasine hielten ihn davon zurück, England zu verlassen. Diese Gefühle bestanden aus einer verwirrenden Mischung aus Begehren, Zuneigung und Frustration. Sie verbrachten so wenig Zeit zusammen. Thomasine arbeitete fünfeinhalb Tage in der Woche und offensichtlich auch jeden Abend. Und auch Daniel war im Moment sehr eingespannt. Er wuÃte, wenn er aus dem Erfolg der Schwarzen Erde Profit schlagen wollte, muÃte er seine Artikelserie fertigstellen, bevor das Buch vergessen war. Die Rückkehr zu den Kohlegruben war niederschmetternd, eine langgezogene, stille Qual. Er wollte etwas schreiben, was die bürgerliche Klasse aus ihrer Selbstzufriedenheit herausholte.
Wieder fuhr er nach Leeds und schrieb über die Arbeit der Hilfskommitees unter den Familien der ausgesperrten Bergleute. Er hatte sich einer Mitarbeiterin des Frauenkommitees angeschlossen â Miss Cecilia Morris, eine Frau um die DreiÃig, dunkelhaarig, mit strengen Zügen und intelligent. Ihr Tag bestand aus einer endlosen
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